MARIENLEXIKON

Mittlerin aller Gnaden (Mediatrix)

Kontrollierte Version des Art. „Mittlerin der Gnade. I. Kath. Theologie“ von G. L. Müller, ML-Bd. IV (1992) S. 487-493; mit neuerer Literatur, von Gerhard Ludwig Kardinal Müller

Die Idee der universellen Mittlerschaft Mariens bildet einen wichtigen Bestandteil der MV. Er umfasst zwei Aspekte: einmal die geschichtl. Beteiligung Mariens an der Inkarnation u. dem Erlösungshandeln ihres Sohnes Jesus Christus am Kreuz, insofern sie durch ihren Glauben u. ihre Nachfolge stellvertretend für die Menschheit die Erlösungsgnade Gottes für alle Menschen frei angenommen hat, und zum anderen ihre aktuelle Fürbitte beim erhöhten Herrn, in der sie die aktuellen Gnaden Gottes an jeden Menschen miterbittet, d.h. indem sie durch ihr Gebet die freie Annahme der Gnade in dem personalen Selbstvollzug des Betenden durch ihre mitmenschl. Solidarität mitträgt und anzeigt. Da die aktuellen Gnaden aber nicht als Zusatz zu der einen geschichtl. Selbstmitteilung Gottes, sondern nur als deren Auswirkung in die Pluralität menschlicher Lebensvollzüge interpretiert werden können, darf man die beiden genannten Aspekte formell nicht voneinander trennen.

Biblische Hinweise: In seinem Mensch gewordenen Wort ist Gott das Subjekt der geschichtlich-eschatol. Heilsverwirklichung. Aus diesem Grunde heißt der Sohn Gottes, Jesus Christus, allein der Mittler zwischen Gott u. den Menschen (1 Tim 2,5; Hebr 8,15; 1 Joh 2,1 f.), insofern er in seiner menschl. Natur alle Menschen umfasst und sie geschichtlich u. aktuell in die Unmittelbarkeit zu Gott vermittelt. Dabei geht es um eine personal-dialogische Einheit der Liebe, in der Gott Ursprung u. Inhalt des Heils ist, zu der aber von Seiten des Menschen die von der Gnade getragene kreatürl. Weise der Annahme gehört. Die Gnade Gottes in Jesus Christus impliziert darum die von ihr getragene, aber nicht suspendierte Antwort der Freiheit. In dem Akt der Menschwerdung, in dem Gott sich der Menschheit als universales Heil schenken will, wird die Freiheit Mariens zur glaubenden Selbsthingabe erst befähigt. Und in der Einheit von Gnade u. Freiheit ist sie die jungfräuliche GM. In die Struktur der Erlösung geht also als ein ihr innerliches Moment das vom Hl. Geist getragene Ja-Wort Mariens mit ein. Dass Maria »voll der Gnade« ist, findet die Entsprechung im vollen Glauben Mariens (vgl. Lk 1,28. 38). Sie gehört also ganz auf die Seite Christi, nicht indem sie ihn in seinem Werk unterstützt, sondern indem an ihr die volle Resonanz der Gnade in der Kreatur sichtbar wird. Darum steht sie auch stellvertretend für die die Gnade empfangende Menschheit, indem sie das, was sie empfangen hat, auch austeilt, weil jedem seine Gnadengabe nur gegeben wird, damit sie anderen nützt (vgl. 1 Kor 12,7). Die Verbindung Mariens mit Jesus ist allerdings nicht nur auf die Geburt zu begrenzen. Maria ist aufs engste verbunden mit dem Leiden Jesu (vgl. Lk 2,35) und dem Anfang u. dem Ende der Offenbarung der göttl. Herrlichkeit Jesu bei der Hochzeit von Kana (Joh 1,11) und bei seinem Sterben am Kreuz (Joh 19,25). Außerdem ist Maria verbunden mit dem Geschehen der Sendung des Hl. Geistes auf die junge Kirche, die sich durch die Begegnung mit dem auferstandenen Herrn endgültig ausgebildet hatte (vgl. Apg 1,14).

Allgemein kann gesagt werden, dass im ntl. Verständnis die Fürbitte der Glieder der Kirche füreinander eine große Rolle spielt. Sie begrenzt nicht das Tun Christi für seine Kirche, sondern sie entfaltet es in das Zusammenleben der Kirche und zeigt die Verantwortung des Einzelnen für die Brüder und das Gesamtschicksal der Kirche. So hofft Paulus, dass durch sein Gebet die Juden gerettet werden (Röm 10,1). Die Gemeinde soll für den Apostel beten, dass sich das Wort ausbreitet (2 Thess 3,1) und sich ihm eine Tür für das Wort auftut (Kol 4,3). Im Gebet füreinander (Apg 8,24; Eph 6,18; Hebr 13,18) vertieft sich die Verbundenheit der Gemeinde in Christus (2 Kor 9,14) und vervielfacht sich der Dank an Gott (Röm 1,9; 2 Kor 1,1; 1 Thess 1,2; Phil 4,22; Eph 1,15; Kol 1,3. 9). Das Fürbittgebet erwirkt nicht die Gnade der Rechtfertigung, aber es ist hilfreich für das Wachsen in der Vollkommenheit auf Christus hin (Kol 4,12). Denn das Gebet des Gerechten vermag nach dem Beispiel Elijas viel, wenn es nur inständig ist (Jak 5,16). In der Tat ist Jesus unser Beistand beim Vater, wenn einer der Brüder gesündigt hat, weil er allein die Sühne für die Sünden der ganzen Welt ist (1 Joh 2,1 f.). Aber gerade durch ihn, der unsere Gebete erhört und unsere Fürbitten, die seinem Willen entsprechen, im Voraus schon erfüllt hat, sehen sich die Christen aufgefordert, für den Bruder zu beten, dessen Sünde nicht eine Sünde zum Tode war. Auf das Fürbittgebet hin wird Gott dem Sünder das Leben des Sohnes u. des Vaters geben (1 Joh 5,16). Denn einen großen Dienst tut, wer seinen von der Wahrheit abirrenden Bruder zur Umkehr bewegt (Jak 5,19 f.) Der wechselseitige Dienst als Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes geschieht im Festhalten an der Liebe, die viele Sünden zudeckt (1 Petr 4,8ff.; Jak 5,20) und die Gemeinde mit Gott und den Brüdern im ewigen Leben vollendet.

In der nach-ntl. Zeit wird dieser Gedanke in der wechselseitigen Verbundenheit im einen Heilsweg nur erweitert, indem auch die himml. Kirche der vollendeten Heiligen mit einbezogen wird, denn die Verstorbenen sind von der irdischen Kirche nicht getrennt, sondern durch ihre Gemeinschaft mit dem auferstandenen Herrn umso tiefer mit ihr in der Liebe verbunden (vgl. Röm 14,8 f.; Hebr 12,22-24; Offb 6,9-11).

Geschichtliche Entwicklungen: Entscheidend für die Formung des Mediatrix-Gedankens ist die frühpatristische -> Eva-Maria-Antithetik geworden (Justin, Dial. 100: PG 6,711; Tertullian, De carne Christi 17: CChr.SL 2,905). So wie Eva, die Stamm-Mutter der Menschheit, durch ihren Ungehorsam (Unglauben) für sich und für die Menschheit zur Ursache des Unheils geworden ist, so ist Maria durch ihren Glauben (Gehorsam), indem sie Gott als die Mensch gewordene Gnade in Leib und Seele hinein aufgenommen u. ausgetragen hat, zur Ursache des Heils für sich und für die neue Menschheit in Christus geworden (Irenäus, Adv. haer. 111,22,4: Harvey 2,123). Diese Sicht, dass durch Eva der Tod und durch Maria das Leben kam, blieb auch für die spätere Patristik leitend, die Maria als die Mutter der (in Christus) Lebenden verstand (Epiphanius v. Salamis, Panarion III, haer. 78,18: PG 42,728 f.; vgl. Cyrill v. Jerusalem. Cat. 12,5,15: PG 33,741; Hieronymus, Ep. 22,21: PL 22,408; Joh. Chrys., Hom. in S. Pascha 2: PG 52,768; Ders., Expos, in Ps 44,7: PG 55,193; Augustinus, De agone Christ. 23: PL 40,303; Petrus Chrysologus, Sermo 140: PL 3,576; Beda Venerabilis, Homil 1 und 2: PL 94,9 und 16). Es bedeutet nur eine vertiefende Weiterführung dieses Gedankens, wenn die Rolle Mariens durch die Begriffe der Mitwirkung (cooperatio) u. der Mittlerschaft ausgedrückt wird. Für Augustinus hat Maria durch ihre Liebe mitgewirkt, dass die Gläubigen in der Kirche geboren werden als Glieder des Leibes, dessen Haupt Jesus Christus ist (De sancta virg. 6,6: PL 40,399). In diesem Sinn kann Maria ausdrücklich die universelle Mittlerin und Austeilerin (dispensatrix) der Gnaden und Ursache des Lebens genannt werden (Andreas v. Kreta, In nat. Mariae: PG 97,813, 865, 1108; Germanus v. Konstantinopel, In dormit. Deiparae hom. 5,2: PG 99,721). Zu beachten sind die zahlreichen Preisungen Mariens wegen der Fülle ihrer Gnaden in den rel. Hymnen. In dem berühmten Hymnus »Akathistos« wird Maria als »Brücke von der Erde zum Himmelreich« und als Versöhnung der ganzen Welt gepriesen (vgl. Meersemann I 100-127). Bei Paulus Diakonus wird Maria erstmals als Mediatrix bezeichnet. Sie ist als Fürsprecherin der Sünder »Mittlerin zwischen Gott und den Menschen« (PL 73,682; ActaSS Febr I 48 f.).

Die mittelalterl. Theol. bleibt ganz auf dieser Linie und versucht den Anteil Mariens am Erlösungsgeschehen gedanklich u. sprachlich tiefer zu fassen. Größte Aufmerksamkeit findet die Zustimmung Mariens zu ihrem Einbezogenwerden in das Inkarnationsgeschehen. In diesem Sinn kommt der Gedanke des Mittuns Mariens bei der Erlösung im Sinne der Corredemptio auf (vgl. Fulbert v. Chartres, Sermo 9: PL 141,336 f.; Petrus Damiani, Sermo 45: PL 144,741,743; Sermo 11: PL 144,558). Anselm v. Canterbury (Oratio 4-7: Schmitt III 13-25) weiß, dass alle Gaben Gottes in Jesus Christus (Versöhnung des Sünders, neues Leben, Bewahrung im Endgericht) auch durch Maria, die uns Christus geboren hat, zu uns gekommen sind. Wer daher gegen den Sohn sündigt, sündigt auch gegen die Mutter. Wer umgekehrt die Fürbitte der Mutter erlangt (ex opere operantis — und sich so mit ihr versöhnt), hat auch die Versöhnung mit dem Sohn. Dies ist der Ansatz des Gedankens »durch Maria zu Jesus«. Er steht darum auf einer anderen Ebene als die trinitarische Gebetsstruktur »durch den Sohn im Hl. Geist zum Vater« und darf mit diesem nicht im Sinne eines Instanzenzuges hintereinandergeschachtelt werden (vgl. Bernhard v. Clairvaux, Sermo 2 in assumpt. B. M.: Leclerq V 229; Ders., Sermo 2 in die Pentecostes: Leclerq V 166L; Ders., In nat. B.M.: Leclerq V 275-288; Ep. 174: Leclerq VII 389: »Magnifica gratiae inventricem, mediatricem salutis, restauratricem saeculorum«).

Beliebt wird die Metapher von Maria als Brücke, Aquädukt oder Himmelsleiter des Heils (im Anklang an das Bild der Jakobsleiter: Gen 28,10-22. Zu vergleichen sind hier etwa: Richard v. St. Viktor, In Cant. Cant. 26: PL 196,483; Adam v. St. Viktor, Seq. 25: PL 196,1502). Den Begriff von Maria als Mithelferin (coadiutrix) u. Gefährtin (socia) Jesu im Heilswerk bilden Albertus Magnus (Mariale: Op. Omn. 37,81), Bonaventura (Sermo 6 de annunt. B.M.: Opera Omnia 9,705), Bernhardin v. Siena (Sermo 7,1,3 in Fest. B.M.: Opera omnia 4, Paris 1635, 126), Antonin v. Florenz (S. th. IV, tit. 15, cap. 14,2), Dionysius Cart. (De praeconio et dig. Mariae 3,25: Opera Omnia 35, Tournai 1908, 563) und Gabriel Biel (De festis B.M. v. 15, Brescia, 1583, 82). Bei Thomas v. Aquin findet sich eine umfasss. Reflexion der heilsgeschichtl. Rolle Mariens. Auf Grund der -> hypostatischen Union ist Christus in seinem Erlösungshandeln die Totalursache des Heils. Auf Grund seiner Gottheit ist er das einzige Subjekt des göttl. Heilswirkens, aber in seiner menschl. Natur, die er von seiner Mutter Maria empfangen hat, ist er das von Gott angenommene kreatürl. Medium, wodurch die Menschen in die Einheit mit Gott vermittelt werden. Darum ist Christus in der hypostatischen Union »principaliter et effective« der einzige u. vollendete Mittler der Menschen zu Gott. Da aber seine Menschheit das vom Logos bleibend getragene Medium ist, können diejenigen, die auf Grund seiner Gnade zu Gliedern des Leibes geworden sind, zu »cooperatores« an der Vereinigung der Menschen mit Gott werden, aber jedoch nur »dispositive et ministerialiter«. Sie ergänzen nicht Christi Mittlerschaft, sondern bringen sie in der Dimension des geschichtlichen u. gesellschaftl. Lebens der Kirche zur Darstellung (vgl. S. th. III q. 26).

Wenn nach dem scholastischen Verständnis der Rechtsgrund der Erhörung der an die Heiligen gerichteten Bitten in ihren Verdiensten liegt, dann ist hinzuzufügen, dass die Verdienste der Heiligen nicht die Gnade u. die Hilfe Gottes für die Bittenden erst hervorrufen, sondern dass umgekehrt die Verdienste allein Wirkungen der Gnade sind, d. h. nichts anderes als ihre volle Ankunft im Freiheitsvollzug des Menschen (vgl. S. th. I-II q. 114). In seiner universalen Heilsfürsorge konnte Gott, ohne seine Allursächlichkeit hinsichtlich der Versöhnungsgnade in Frage zu stellen, die Austeilung vieler Gaben an die Fürbitte der Brüder binden, damit die Gemeinschaft aller im Heil und im Weg zum Heil sichtbar werde (vgl. S. th. II-II q.17 a.4; S.c. g. III, cap. 117). In der universalen Ordnung der Gnade setzt Gott die freie Annahme seitens der Kreatur voraus, weil ohne die freie Hingabe die Gnade nicht sie selbst wäre, nämlich Ursache, Mittel u. Inhalt der Vereinigung Gottes mit der Kreatur in Gestalt einer dialogisch-personalen Liebe. Darum geht ursprünglich das Ja-Wort Mariens in die geschichtl. Gestalt des Erlösungsgeschehens ein. Weil ihr Konsensus stellvertretend für die ganze menschl. Gemeinschaft ausgesprochen wurde (vgl. S. th. III q. 30 a. 1), hat ihre von Christus getragene und in seiner Mittlerschaft implizierte Heilsfürsorge für uns den Charakter einer dispositiven Mittlerschaft der Fürbitte im Sinne einer sich auf alle Menschen universell weitenden Dimension.

Die aktuelle Vermittlung des Gebetes geschieht aber nicht durch einen je neuen Einsatz Mariens und der Heiligen im Himmel, sondern sie ist nichts anderes als der bleibende Affekt der Liebe, indem ihre Einigung mit Gott im Leben u. die Vollendung dieser Einheit im Tod eine Verendgültigung zu ewiger Aktualität erfahren hat. Darum will Maria in vollkommener Angleichung an den universalen Heilswillen Gottes selbst das Heil der pilgernden Kirche, die als ekklesialer Leib Jesu Christi gleichsam aus ihrem Ja-Wort heraus geboren worden ist (vgl. Suppl, q. 72). Da Maria als GM die Fülle der Gnaden, die uns in der Menschheit Christi von Gott geschenkt wird, empfangen und der Welt im Geschehen der Geburt dargeboten hat, geht von ihr gleichsam alle Gnade auf die Kirche über (dispensatrix). Dabei übertrifft Maria wegen dieser einzigartigen Verbindung mit der Inkarnation alle Heiligen, indem sie als die universelle Mittlerin des Gebets aller Glieder der Kirche zum Haupt hin angesprochen werden kann, wie sie ja auch umgekehrt tätig ist bei der Zueignung der Gnade vom Haupt zu den Gliedern des Leibes Christi hin — freilich im Sinne der rezeptiven, instrumentalen u. dispositiven Mittlerschaft (vgl. S. th. III q. 27 a. 5 ad 1).

Marias universelle Stellung als Mittlerin der aktuellen Gnaden wird von den Theol. in versch. Bildern festzuhalten versucht. Bonaventura versteht Maria als Pforte des Himmels (Comment, in Luc 1,70; 2,37: Op. Omnia 7,27; 52). Das Bild vom -> mystischen Leib ausdeutend wird Maria (allerdings in einem etwas missglückten Vergleich) als Hals zwischen Christus als Haupt und den Gläubigen als Leib vorgestellt (Jacobus a Voragine, Bernhardin v. Siena). Trotz der Fragwürdigkeit dieses Bildes ist doch der damit gemeinte Sachverhalt weitgehend zum Gemeingut der Theol. geworden (Gabriel Biel, Robert Bellarmin, Dionysius Petavius, Franz Suarez, Jacques-Benigne Bossuet). Schließlich ist dieser Gedanke auch in päpstl. Enzykliken eingegangen (Leo XIII., Enz. Jucunda semper, 1894: ASS 27, 177-184; Pius X., Enz. Ad diem illum, 1904: ASS 36, 449-462; Benedikt XV. führte die Messe und das Officium von Maria als Mittlerin der Gnaden ein). Die Verwendung dieses Gedankens in lehramtl. Texten bedeutet jedoch keine Dogmatisierung des Mediatrix-Titels, gar im Sinne der Miterlöserschaft Mariens. Für die Theol. vor dem II. Vatikanum ergab sich die Alternative einer mehr christotypischen (Maria steht auf der Seite Christi, des Hauptes, der Kirche gegenüber) oder einer mehr ekklesiotyp. Sicht (Maria steht als das vornehmste Glied der Kirche mitbetend Christus, dem Haupt, gegenüber). Im 8. Kapitel der Kirchenkonstitution versucht das Konzil dagegen Marias Rolle geschichtlich u. aktuell im Geheimnis Christi und der Kirche zu situieren. Der missverständliche Titel »corredemptrix«, der an sich nur die universale Tätigkeit Mariens als Mittlerin ausdrücken will, wird vermieden. Das Konzil bekennt über die Aufgabe Mariens bei der Inkarnation u. im Leben des geschichtl. Jesus hinaus die Mutterschaft Mariens für die Kirche, die in der geschichtlich-ekklesialen Gnadenökonomie fortdauert. Da sie mit Christus engstens vereint ist (auf Grund ihrer Vollerlösung in der leiblichen -> Aufnahme in den Himmel) sorgt sie betend für die pilgernde Kirche, von der sie unter den Titeln »Fürsprecherin, Helferin, Beistand, Mittlerin« (LG 62) angerufen werden kann. Dies darf jedoch nicht univok im Blick auf die Mittlerschaft ausgesagt werden. Die umfass. Mittlerschaft Christi bedarf keiner Ergänzung, aber sie trägt selbst noch einmal die analoge Teilhabe an ihr (z.B. im Priestertum der Gläubigen oder der ordinierten Priester), so dass die interpersonalen Vermittlungen nicht einen Zusatz zur Mittlerschaft Christi darstellen, sondern deren Auswirkungen auf der Ebene des personalen Mit-Seins der Glieder des Leibes Christi. In diesem Sinne kommt Maria eine untergeordnete Aufgabe zu, damit durch ihre Mitwirkung, die aus der Quelle des Mittlertums Christi geschöpft wird, die Gläubigen tiefer mit Christus verbunden werden. Die engste Verbindung Mariens mit Person u. Werk Jesu Christi bedingt, dass sie die aktuelle Fürbitte aller Heiligen übertrifft und in diesem Sinne die Mutter aller Gläubigen, die auf dem Weg zur Vollendung in ihr das Urbild der Einheit des Menschen mit Gott in Glauben, Hoffnung und in der Liebe erkennen, genannt werden darf (LG 65).

Ökumenische Fragestellungen: Die Kritik an der Anrufung der Heiligen und die Idee der aktuellen universellen Mittlerschaft Mariens ist der mit äußerster Schärfe vorgetragene Haupteinwand der Reformation gegen die kath. Mariologie u. Hagiologie. Maria als Mittlerin erscheint dem ref. Hauptartikel von der Alleinursächlichkeit Gottes (solus Deus) und der einzigen Vermittlung der Rechtfertigungsgnade durch die Mittlerschaft Jesu Christi (solus Christus) und der einzigen Zueignung der Gnade durch den Glauben ohne alles verdienstliche Mittun des Geschöpfes (sola gratia) diametral zu widersprechen. »Anrufen« heißt: sein Heilsvertrauen allein auf Gott zu setzen und von ihm die Versöhnung zu erwarten, die ihren Grund allein in Gottes Gnädigkeit hat und nicht etwa in einer Aktion Gottes, die durch unsere oder der Heiligen Verdienste ausgelöst wird. Deshalb heißt es — nach Luther — aus Maria eine Abgöttin machen (WA 30/11 348), wenn man sich Christus als strengen Richter vorstellt, vor dem man zur (mütterlich-milden) Maria fliehen muss, damit sie als Fürbitterin für die Sünder ihn erst gnädig stimme und seinen Zorn dämpfen müsse, damit er uns in Gottes Gericht bewahre (WA 30/11 312; Apologia Confessionis 21: BSLK 239; 319). Hinter dieser Kritik steht die Vorstellung eines Instanzenzuges, als ob man durch Maria zu Christus und durch Christus erst zum Vater gelangen könne, indem man sich als armer Sünder zunächst an die uns menschlich näherstehende Maria wendet, die als Mutter Jesu bei ihm einen größeren (psychologisch gedachten) Einfluss geltend mache. Entscheidend ist hier die (vermeintliche) Aufhebung der Unmittelbarkeit der Seele zu Gott durch die vermittelnde Stufenordnung vieler Heiliger (die oft sogar als eine Art platonischer Mittelwesen zwischen Gott u. den Menschen gedacht werden). Die kath. Kontroverstheologie vor und nach dem Konzil von Trient hat dagegen die prot. Einwände als Missverständnis der kath. Sicht zurückgewiesen und ihre Übereinstimmung mit der patristischen u. scholastischen Tradition zu erweisen versucht. Wahrscheinlich setzen die ref. Kritik an der spätmittelalterliche Idee u. Praxis der Heiligenverehrung sowie die kath. Verteidigung die gleichen Prämissen voraus und ziehen nur die entgegengesetzten Konsequenzen. Für eine gegenwärtige Verständigung müsste klar sein, dass der nächstliegende hermeneutische Bezugsrahmen der Rede vom Mittlerdienst Mariens u. der Heiligen nicht unmittelbar in der Christol. u. Soteriol., sondern in der Ekklesiologie zu suchen ist. Es geht einmal um die Struktur des Gott-Mensch-Verhältnisses und zum andern um die geschichtlich-kirchl. Vermittlung des Christusereignisses. Gottes Vergebung in Christus ist mehr als die Deklaration der Versöhntheit des Menschen mit Gott, der nur im Glauben passiv aufzunehmen hätte. Es geht vielmehr um eine realgeschichtl. Begegnung. Dabei ist Gott die Totalursache des Heils, aber so, dass die kreatürl. Freiheit durch die Selbstmitteilung Gottes erst zu ihrem Vollzug in einer personal-dialogischen Begegnung mit Gott kommt. Darum gehört die kreatürl. Rezeption der Gnade zur geschichtlich-inkarnatorischen Gestalt des Heils und seiner dialogischen Verwirklichung mit hinzu. Die freie menschliche Annahme ist das von Gott selbst getragene Medium seiner geschichtlich fassbaren Gegenwart, wie sie ursprünglich und Ursprung gebend in der hypostatischen Union von Gottheit und Menschheit in Christus gegeben ist. In davon abhängiger Weise ist die freie u. begnadete Antwort des Menschen Folge u. Ausdrucksgestalt der Gnade Christi. Marias freies Ja-Wort zum inkarnator. Offenbarungswillen ist somit selbst Folge u. Ausdrucksgestalt der Selbstmitteilung Gottes als Wahrheit u. Gnade. Und darum hat die geschichtliche u. kirchl. Vergegenwärtigung der Gnade Christi immer auch eine marian. u. hagiologische Dimension. In diesem und nur in diesem Sinn kann darum Maria zu Recht mit der Tradition »Mittlerin der Gnade« genannt werden, insofern darin ihre solidarische Bezogenheit auf das Heil aller ihrer Brüder u. Schwestern im Glauben angezeigt wird. Was den Vollzug der MV durch den einzelnen betrifft, gibt es sicher unterschiedl. Möglichkeiten der Art u. Intensität. Die mariol. Dogmen sind natürlich ein verpflichtender Teil des kirchl. Glaubensbekenntnisses. Ebenso feiert die Kirche im liturg. Jahr Marienfeste. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass die doxolog. Richtung der Dogmen u. Feste dem Heilshandeln Gottes in Jesus Christus gilt. Das gläubige Verhältnis zu Maria als Mittlerin kommt darum nicht zum Mittlertum Christi von außen hinzu, sondern wird von diesem initiiert und getragen. Aber insofern dieses Mittlertum Christi das zwar gnadenhaft vorbereitete, aber dann doch menschlich freie Ja der Magd des Herrn voraussetzt, gilt die Verehrung auch Maria. Sie selber drückt diesen Zusammenhang im Magnifikat aus: Die Tat Gottes schließt ein, dass »alle Geschlechter« die niedrige Magd seligpreisen werden. Ebenso preist Elisabeth, erfüllt vom Hl. Geist, Maria selig als »die Mutter meines Herrn« (Lk 1,42 f. 48). Das Mittlertum Mariens, das ganz dem Mittlertum ihres Sohnes dient, kann wegen der objektiven Stellung der neuen Eva in der Heilsgeschichte nicht prinzipiell geleugnet oder ignoriert werden, doch kann es im Leben des einzelnen — gerade wegen der Dienstfunktion im Werk Jesu Christi — mehr oder weniger zurücktreten, auch wenn nach der Erfahrung der Kirche (z.B. der Heiligen u. der Orden) eine Hervorhebung dieses Dienstes der Magd des Herrn gerade die Christusfrömmigkeit fördert und geistlich befruchtet.  G. L. Kardinal Müller (Jan. 2024)

Literatur: H. M. Köster, De corredemptione mariana in theologia hodierna (1921-1958), In: Mar 24 (1962) 158-182. – H. Volk, Maria, Mutter der Gläubigen, 1964. — K. Rahner, Der eine Mittler u. die Vielfalt der Vermittlungen, In: Ders., Schriften zur Theologie VIII, 1967, 218-235. – C. A. de Ridder, Maria als Miterlöserin. Die Diskussion über die Mitwirkung der Mutter Gottes am Erlösungswerk Christi in der heutigen röm.-kath. Theologie, 1965. — G. Söll, Mariologie, In: HDG III/4, 1978. — A. Müller, Maria und die Erlösung, In: MySal III/2, 499-510. — Ders., Glaubensrede über die Mutter Jesu. Versuch einer Mariologie in heutiger Perspektive, 1980, 115-135. — Beinert-Petri (1984) 232-439. — J. Galot, Maria, la donna nel’opera salvezza, 1984, 239-292. — G. L. Müller, Gemeinschaft u. Verehrung der Heiligen. Geschichtlich-systemat. Grundlegung der Hagiologie, 1986. — Ders., Marien- u. Heiligenverehrung. Eine Ausformung der theol. Anthropologie aus kath. Sicht, In: Cath(M) 40 (1986) 165-186. – DThC IX/2 2339-2474 (Lit.). – NDMar II 920- 935. – H. M. Köster, Die Mittlerschaft Mariens, Leutesdorf 51988. – J. Stöhr, Zur neuzeitl. Theologie der Gnadenmittlerschaft u. geistl. Mutterschaft Mariens, in: Ders., Maria unsere Mutter, Köln 1991, S. 23-93. – L. Scheffczyk, Die Mittlerschaft Marias, in: Scripta de Maria 8 (1985) 503-523 (= Scheffczyk, Ges. Schriften III, 1991, S. 300-323). – M. Hauke, Die mütterl. Mittlerschaft Mariens in Christus. Eine systematische Besinnung, in: A. v. Brandenstein-Zeppelin u.a. (Hg.), Die Stellung der Gottesmutter in der Welt- u. Heilsgeschichte, Weilheim-Bierbronnen 2008, S. 19-50. – G. L. Müller, Mariologie, in: Ders., Kath. Dogmatik, Freiburg 102016, S. 472-508, speziell S. 502-508.    G. L. Müller / A. Dittrich