MARIENLEXIKON

Marienmünster, Dießen am Ammersee

1989 hat Bischof Josef Stimpfle die ehemalige Stiftskirche des Augustiner-Chorherren-Klosters im oberbayerischen Markt Dießen zum „Marienmünster“ erhoben.
Dießen liegt im Landkreis Landsberg am Lech und gehört zur Diözese Augsburg. Bereits im Jahr 815 entstand im heutigen Ortsteil St. Georgen ein erstes Kloster, im 11. Jahrhundert kam das Frauenkloster St. Stephanus hinzu, dass durch die selige Mechthildis bekannt geworden ist. 1127 fand die formale Gründung des Hausklosters der Grafen von Dießen statt, das an neuem Standort auf der Anhöhe über dem See errichtet wurde. Die aus Dießen hervorgegangene Grafenfamilie derer von Andechs-Meranien bemittelte das Stiftskloster reich und vertraute es den Augustiner-Chorherren von Rottenbuch an; die päpstliche Anerkennung erfolgte 1132, die Kirche wurde der Gottesmutter geweiht. Die Benediktiner-Klöster Andechs und Wessobrunn liegen nur wenige Kilometer entfernt.
Nach den Zerstörungen im Dreißigjährigen Krieg und im Spanischen Erbfolgekrieg begannen 1720 die Arbeiten für die heutige Klosterkirche. Unter dem kunstsinnigen Propst Herculan Karg führte Johann Michael Fischer von 1732 bis 1739 eine Hallenkirche mit Turm aus, unter Beteiligung namhafter Künstler, im Übergang vom Spätbarock zum Rokoko. Die erneut der Gottesmutter geweihte Klosterkirche wird seit dem 18. Jahrhundert „Dießener Himmel“ genannt und feiert ihr Patrozinium am 15. August. Im Jahre 1803 wurde das Chorherren-Stift staatlich erzwungen aufgehoben, die Klosterkirche diente fortan als Pfarrkirche. Von 1917 bis 1968 befand sich auf dem Klostergelände die Hauptniederlassung der Barmherzigen Schwestern in Bayern.

„Die ehemalige Augustiner-Chorherrenstiftskirche Mariä Himmelfahrt zu Dießen zählt zu den bedeutendsten Schöpfungen des Spätbarock im süddeutschen Raum. Der im Prinzip einfache, saalartige Wandpfeilerraum ist von Johann Michael Fischer in bayerischer Art von ureigenen Raumideen durchdrungen und wird im Hinblick auf die Bedeutung der theologisch zentralen Themen dieser Zeit, nämlich Eucharistie, Dreieinigkeit und Himmelsaufnahme Mariens, in genialer Weise durchgestaltet. Der eigenstark geschaffene Chorraum ist ein besonderes Meisterwerk. Als Audienz- und Thronsaal Gottes, als ‚Heiliges Theater‘ im Abbild eines ‚neuen Himmels‘, der Wohnung Gottes unter den Menschen (vgl. Offb 21ff), verdeutlicht die Kirche in ihrer architektonischen und künstlerischen Vollendung, dass das Endliche weiterlebt im Unendlichen“ (Werner Schnell).

Die marianische Widmung der spätbarocken Klosterkirche findet vielfachen künstlerischen Ausdruck. In einer Nische über dem Eingangsportal der 34 Meter hohen Schaufassade steht eine Marienbüste mit einem Kranz aus sieben Sternen um das Haupt, von Ägid Verhelst geschaffen aus hellem Marmor, gemäß dem Typus der Wessobrunner „Mutter der schönen Liebe“, die sich auch als kleines, ovales Gemälde im Rosenkranz-Altar befindet. Maria wird im Portal als Braut des Heiligen Geistes präsentiert. Im Giebel der Fassade steht die große Figur des Kirchenvaters und Ordenspatrons Augustinus. Auf dem Giebel findet sich zentral das strahlende Auge Gottes (Dreieck) – „beidseitig erheben sich zwei Vasen mit goldenen Sternen als Hinweis auf Christus, den Morgenstern (Offb 22,16), und seine Mutter Maria, die als Stern des Meeres besungen wird“ (N. Lieb, S. 5).
Das Innere: diese lichtdurchflutete, weißgefasste Hallenkirche, ist dem Motiv des Theatrum sacrum verpflichtet und bietet unzählige Heiligendarstellungen. Das große Deckengemälde im Langhaus zeigt zentral die in lichten Wolken thronende Gottesmutter im weißen Gewand, umwallt von einem großen, mattblauen Schultertuch, umgeben von vielen Heiligen: Augustinus blickt zur Himmelskönigin, die mit Zepter, Krone und einem Kranz von sieben Sternen in den Wolken thront; er selbst hält ein brennendes Herz in die Höhe; der kraftvolle Ritter Georg mit Schild und Palmwedel tritt einen Drachen nieder. Dieses großflächige Deckengemälde stammt von Johann G. Bergmüller, der auch die beiden weiteren Deckengemälde geschaffen hat (Chorbogenfresko mit der historischen Klostergründung St. Georgen, darüber die göttliche Weisheit; Kuppelfresko mit Christus, umgeben von den Heiligen und Seligen des Hauses Dießen-Andechs).
Im Kirchenschiff wurden acht paarweise einander zugeordnete Altäre in den Wandpfeilerkapellen aufgestellt, darunter ein Josefsaltar (Gemälde von B. A. Albrecht, 1735: Jesus und Maria stehen beim sterbenden Josef) und ein prächtiger Rosenkranzaltar im linken Übergang zum Chor (Gemälde von Franz G. Hermann: Die rotblau gewandete Gottesmutter hält das Jesuskind, welches dem hl. Dominikus den Rosenkranz herabreicht). An der Pfeilerkapelle auf der rechten Seite zeigt das Altarblatt die Kreuzigung Jesu mit Maria und Johannes (Georg Desmarées); auf der Mensa des Altars steht eine kleine gotische Pietà, bei der weite Teile der sitzenden Gestalt Mariens in Blau gehüllt sind. Die großen Altargemälde für den Stephanus- und Sebastians-Altar stammen von G. B. Pittoni und G. B. Tiepolo. Auf den Chorstufen ist eine lebensgroße, polierweiß gefasste Barockmadonna mit Jesuskind aufgestellt worden, die Hans Degler (um 1620) zugeschrieben wird.

Der Hauptaltar im Chorabschluss ist der Aufnahme Mariens in den Himmel gewidmet. Dieser „Dießener Hochaltar“ gilt als „Hauptwerk bayerischer Altarbau- und Bildhauerkunst der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts“ (N. Lieb, S. 32). Er wurde von Francois Cuvilliés entworfen und von Joachim Dietrich ausgeführt.
Am Tabernakel befinden sich zwei versilberte Sockelreliquiare mit den aufgesetzten Halbfiguren von Maria und von Christus als Salvator. Im Sockelgeschoss des Hochaltars (20 x 14 Meter) sind acht vergoldete Flachreliefs angebracht, mit den vier Evangelisten sowie den vier großen Marienfesten samt Jahreszeit: Mariä Verkündigung (25.3., Frühling), Mariä Heimsuchung (2.7., Sommer), Mariä Geburt (8.9., Herbst), Immaculata conceptio (8.12., Winter).
Das große Altarblatt-Gemälde der Himmelfahrt Mariens stammt von Balthasar A. Albrecht (1738); es ist acht Meter hoch und kann in einem dahinterliegenden Schacht versenkt werden, um anderen Darstellungen Platz zu machen. Das spätbarocke Gemälde „betont vor allem das leere Grab und wird auch durch die hinzugefügten Kennzeichen Säule (= Allgegenwart Gottes), Palme (= Sieg, Leben) und Aloe-Pflanze (= Unverweslichkeit) zum Bild der Auferstehung und Verherrlichung“ (N. Lieb, S. 27). Die zum Himmel aufsteigende Jungfrau wird von den Aposteln bewundert, die den leeren Sarkophag umringen. Maria trägt ein weißes Leibgewand und wird von einer graublauen Tuchbahn umwallt; sie ist mit einem schmalen roten Band gegürtet, ein mattgelbes Tuch bedeckt ihren Kopf und windet sich zopfartig auf Schultern und Brust hinab. Vollplastische Figuren von Gottvater und Christus samt Heilig-Geist-Taube erwarten unter einem prachtvollen Baldachin des Altarauszuges die aufsteigende Jungfrau. Am Fuße des Hochaltars mit seinen sechs Marmorsäulen stehen überlebensgroße, weißgefasste Figuren der vier lateinischen Kirchenväter.
In der Chorherrengruft befindet sich eine größere Figur der Jungfrau Maria mit vor der Brust erhobenen Händen. In der Kirche selbst sieht man unter der Empore (beim Seiteneingang) die drei bekleideten Prozessionsfiguren der Gottesmutter in sitzender Lebensgröße, auf Rokoko-Thronsesseln mit Putten und Symbolen: Jungfrau (rosa Gewand, roter Schleier, weiße Lilien), Gottesmutter mit Zepter und Jesuskind (goldene Gewandung, mit Krone und trinitarischem Auge Gottes) sowie die Mater dolorosa (rotes Gewand, grauer Kopf-Mantel, Rosen, flammendes, dornenumkränztes Herz) – gemäß den drei klassischen Rosenkranz-Geheimnissen, aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Links und rechts des Portals unter der Empore hängen zwei Ölgemälde: eine barocke Pietà sowie eine Verabschiedung Jesu von seiner Mutter. An den Außenwangen der Kirchenbänke sind Prozessionsstangen befestigt, Zunftstangen mit Heiligenfiguren als Aufsatz (18. u. 19. Jh.), darunter auch eine schlichte Maria Immaculata.
Die Stiftskirche bewahrt auch einige Krippen-Figuren und -aufbauten aus dem 18. Jahrhundert, darunter die von Franz Xaver Schmädl (+ 1777), welche theatralische Marienfiguren beinhaltet.

Literatur:
Wilhelm Th. Auer, Die Klosterpfarrkirche zu Dießen am Ammersee, Dießen 1964; Dagmar Dietrich, Ehemaliges Augustiner-Chorherren-Stift Dießen am Ammersee (Schnell & Steiner – Gr. Kunstführer Nr. 128), München/Zürich 21986 (60 S.); Norbert Lieb, Marienmünster Dießen am Ammersee (Schnell & Steiner-Kunstführer Nr. 30), München/Zürich 161995 (11934); Kath. Pfarrkirchenstiftung Mariä Himmelfahrt Dießen (Hg.), Marienmünster Dießen. Ehemalige Augustiner-Chorherren-Kirche, Passau 42016 (Peda-Kunstführer Nr. 984); Ludwig Gschwind, Ein Blick in den Himmel. Das Marienmünster in Dießen am Ammersee, in: G. Stumpf (Hg.), Maria, Mutter der Kirche, Landsberg 2004, S. 293-296.

Autor: Achim Dittrich (9.3.2023)