MARIENLEXIKON

Herz Mariae – dogmatisch

„Herz Mariä – Dogmatik“, ML III (1990), S. 167-169. Von Johannes Stöhr

Ausgangspunkt für die Theologie des Herzens Mariae waren bibl. Texte (Lk 2,19; 2,35; 2,51; auf Maria bezogen wurde auch Mt 11,29 [Ambrosius] oder Hld 5,2). Über die Bewegung des H.s Mariens bei der Verkündigung handeln schon die Sibyllinischen Orakel (2. Jh.; VIII, vers. 462-468; GCS 8,171-172). Der Ausdruck Herz Mariae verbreitete sich seit Eadmer (t um 1124) in der Theologie; die Mystik des 12. und 13. Jh.s entfaltete die entsprechende Andacht zunächst vorwiegend im klösterlichen Bereich. Unmittelbarer Gegenstand der Verehrung ist das leibliche Herz Maria, jedoch verstanden als Inbegriff ihrer Heiligkeit und vollkommenen Liebe zu Gott, ihrer mütterlichen Fürsorge für die Menschen und ihrer königlichen Stellung im Reich Gottes (Dekret vom 17.9.1857). Die Verehrung umfaßt die unbefleckte Reinheit, Jungfräulichkeit, demütige Schlichtheit, schmerzhafte Liebe, mütterliche Barmherzigkeit (J. V. Bainvel); sie bezieht sich auf das H. als Quelle des Lebens, als Trost, Zuflucht — letztlich auf die ganze Person (vgl. Thomas, S. th. III q 25 a 1), die engstens mit der Person Christi verbunden ist, und bedeutet somit keinen isolierten Selbstzweck (I q 25 a 6 ad 4). Jean Eudes sprach sogar meist im Singular vom Herzen Jesu und Mariae. Die Gottesmutterschaft und geistliche Mutterschaft den Menschen gegenüber kennzeichnet die Verehrung des H.s Mariae als spezifisch verschieden (-> Hyperdulie) von der allgemeinen Heiligenverehrung (Dulie), und zugleich als unterschieden, abhängig und innigst vereint mit der Herz-Jesu-Verehrung. Die Verehrung des H.s Mariae läßt sich aber nicht völlig von anderen Formen der MV trennen.
Hinweise und theol. Vorbereitungen der Verehrung des H.s Mariae finden sich in den Hoheliedkommentaren der Patristik und des MA, die auf eine besonders innige Liebe zwischen Christus und Maria verweisen (Hld 4,9; 8,6; auch Kommentare zu Spr 23,26), in der kirchl. Liturgie und in der Spiritualität einzelner einflußreicher Heiliger des MAs. Hermann Joseph v. Steinfeld (+ 1225) erhielt seinen Namen wegen seiner Rede von der »Vermählung mit Maria«. Papst Innozenz III. deutete Lk 10,38 (Intravit Jesus in quoddam castellum) und Lk 2,51 (Observavit omnia verba haec conferens in corde suo; vgl. Lk 2,19) auf das Herz Mariae (Sermo 27 et 28 in assumpt; PL 217,577 und 583f.) und zog die Analogie der Sonne (Hld 6,9: electa ut sol) auch im Sinne der Herzenswärme Mariens heran. Nach Richard v. St. Laurentius kann das H. Mariae Tabernakel und Ruheort der Trinität genannt werden (De laudibus BMV, 10,11).
In Weiterführung von privaten Frömmigkeitsformen bei Mechthild v. Hackeborn (Revelationes p. 1 c. 39; Paris 1878, 149f.), Gertrud v. Helfta, Birgitta v. Schweden, Marie de lncarnation und Franz v. Sales verbreitete vor allem J. Eudes (1601-1680) die öffentliche Verehrung des H.s Marie. Gegen viele Widerstände führte er 1643 das Fest des H.s Mariae in seiner Kongregation ein, feierte es mit Messe und Offizium im Seminar von Caen (1647) und in der Kathedrale von Autun (1648). Fest und Offizium wurden am 2.6.1668 vom Apost. Legaten genehmigt; am 8.6.1669 erfolgte ein Widerruf der Ritenkongregation. Die theol. Begründungen waren noch unzureichend, und man mußte Angriffen des Jansenismus begegnen. 1670 gab Eudes der Verehrung des H.s Mariae eine revidierte Form, die bis 1672 von fast allen franz. Diözesen übernommen wurde. 1674 erteilte Clemens X. Sondererlaubnisse für die Bruderschaften. Ab 1672 setzte sich das Fest in Frankreich durch. Seit 1729 verwandte man mit J. de Galliffet SJ den Titel: Unbeflecktes H. Mariae; Versuche zur allgemeinen Einführung eines Doppelfestes zu Ehren der Herzen Jesu und Mariae wurden aber noch abgewiesen. Mit der ersten Approbation des Herz-Jesu-Kultes 1765 entfielen die Schwierigkeiten; das Fest breitete sich rasch in immer mehr Diözesen aus. Am 31.8.1805 wurde die offizielle liturg. Verehrung des H.s Mariae von der Ritenkongregation allgemein gestattet, mit Messe und Offizium vom Fest Maria Schnee. Am 21.7. 1851 erhielt der neu geordnete öffentliche Kult des reinsten H.s Mariae seine volle und endgültige Bestätigung, eng verbunden mit der Herz-Jesu- Verehrung. Das Offizium wurde am 17.9.1857 von der Ritenkongregation approbiert. Am 4.5. 1944 wurde ein allgemeines »Fest des Unbefleckten Herzens Mariens« am 22. August mit neuem Formular angeordnet.
Im Dekret über den heroischen Tugendgrad von J. Eudes führte Leo XIII. eigens an, daß er Urheber des offiziellen Kultes der hist. Herzen Jesu und Mariens war (ASS 35 [1902/03] 380); Pius X. bezeichnete ihn als den pater, doctor, apostolus dieses Kultes (vgl. Litterae Apostolicae »Divinus Magister« [3.5.1909]; AAS 1 [1909] 480; AAS 17 [1925] 111, 146f., 225, 489f., 577L; AAS 40 [1948] 106).
Lebendige Zeugnisse für die Verehrung des Herzens Mariens finden sich auch bei Alanus de Rupe OP, H. Kalteisen OP, P. Canisius SJ (1521-1597), J. Osorio SJ (1542-1592), F. Suarez SJ (1548-1617), Dominica a Paradiso OP, S. Bárradas SJ (1543-1615), E. Binet SJ (1569-1639), C. a Lapide SJ (1566-1637), F. Poiré SJ (1584-1637), J.B. Saint Juré SJ (1588-1659), Chr. de Vega SJ (1595-1672), P.de Barry SJ (1587-1661), H. Nicquet SJ (1585-1667), J.E. Nieremberg SJ (1590-1685), R. Fizing OP, Maria Dominica Josepha Rottenberg OP (1676-1737); die theol. Vertiefung begann mit B. De los Rios y Alarcon OSA (De hierarchia Mariana, lib. 5 c. 39, Antwerpen 1641, 608ff.). J. M. Bover führt über 400 Zeugnisse an, in denen das Wort »Herz« speziell auf Maria bezogen ist. Künstlerische Darstellungen sind aus dem 16. Jh. bekannt, die erste Krönung eines Bildes erfolgte 1841. Die erste Bruderschaft wurde schon 1640 in Neapel von V. Guinigi gegründet. Abbé Les Genette gründete 1836 in Paris die Erzbruderschaft vom Heiligsten und Unbefleckten Herzen Mariens.
Mit dem Fest hängt auch die Entfaltung der Marienweihe zusammen, für die es Vorstufen schon im 6./.7. Jh. (Königsdienst) und zu Beginn des MA (Minnedienst) gibt. Viele Bistümer und Länder wurden dem H. Mariae geweiht. Anläßlich der Marienerscheinungen vor der hl. Katharina Labouré (1830) verbreiteten sich die Wünsche nach einer Weihehingabe; der Erzbischof von Bourges warb dafür auf dem I. Vaticanum. 1891 gab es neue Bewegungen in Mailand und Turin; 1910 eine Initiative durch Kardinal Deschamps; 1906 übersandte die Erzbruderschaft Notre Dame du Victoire über 700000 Unterschriften nach Rom; 1907 folgten Petitionen der Montfortaner, 1914 in Lourdes. Papst Pius XII. vollzog am 31.10. 1941 die Weltweihe an das Unbefleckte Herz Mariens. (OR 9./10.10.1941) und erneuerte sie anläßlich des Fatimajubiläums am 31.10.1942 (und am 8.12. 1942) für die Kirche und die ganze Menschheit. Zahlreiche Orden und Genossenschaften sind nach dem Herzen Mariensbenannt. Theologen wie Jean Galot SJ oder J. Solano SJ haben ihre gesamte Mariologie von der Theololgie des Herzens her konzipiert.

Literatur: B.de los Rios de Alarcon, De hierarchia mariana, Antwerpen 1641, lib. 5. c. 39. — J. Eudes, Le coeur admirable de la très sainte Mère de Dieu ou la dévotion au très saint Coeur de la b. Vierge Marie, Caen 1681. — J. de Galliffet, L’Excellence de la dévotion …, Lyon 1743. — C. Verhaege, Larché du salut ou la dévotion aux Sacrées Coeurs de Jésus et Marie, Louvain 1872. — N. Milles, De rationibus festorum ss. Cordis Jesu et purissimi Cordis Mariae, Innsbruck 51885. — H. J. Nix, Cultus ss. Cordis Jesu et purissimi Cordis BVM, Freiburg 31905. — J. V. Bainvel, Le coeur maternel de Marie, Paris 1909. — C. Lebrun, La dévotion au Coeur de Marie, 1918. — G. M. Roschini, La consacrazione della Chiesa e del genere umano alllmma culato cuore di Maria, In: Mar. 5 (1943) 1-12. — H. Pujolrâs, Cultus purissimi Cordis BMV. Natura et fundamenta, 1943. — Ders., Problemas fundamentales de la devocion al Corazon Inmaculado de Maria, In: RET 4 (1944) 93-25. — J. M. Bover, Origen y desenvolvimiento de la devocion al corazon de Maria en los santos padres y escritores edesiâsticos, In: EstMar 4 (1944) 59-171. — N. Garcia Garcés, La devocion al Corazon de Maria en la poesia religiosa de la Edad Media, ebd. 173-264. — E. Dander, Das Herz der Jungfrau-Mutter, 1944. — N. Garda Garcés, Catechismo della devozione al Cuore di Maria, 1944. — M. Peinador, El corazon de Maria en los Evangelios, In: EstMar 4 (1944) 11-58. — T. Olmi, La dévotion au Coeur immaculé, 1947. — J. M. Bover, El corazon de Maria madré y corredentora, 1947. — A. Grillmeier, In: GuL 21 (1948) 332-351. — J. Murphy, The Meaning of Devotion to the Immaculate Heart, 1951. — Paul Sträter III 323-344. — T. M. Sparks, Summarium de cultu Cordis Immaculatae BMV, 1952. — P. Sträter, Das Herz unserer Mutter, 1953. — A. Walz, De corde Mariae testes Dominicani, In: Angelicum 31 (1954) 307—351. — E. Zeitler, Die Herz-Mariä-Weltweihe, Kaldenkirchen 2. Aufl. 1954. — F. Lebscomte, Il cuore di Maria secondo San Giovanni Eudes, 1954. — Jean Galot SJ, Le coeur de Marie, 1955; dt: 1964. — H. Arragain, Maria V, 1958, 1007-1048 (Lit.). — J. M. Alonso, El corazon de Maria en San Juan Eudes, 2 Bde., 1958. — L. Martinez Guerra, A la Trinidad por el Corazon de Maria, 1959. — H. Verdegaal, Fundamentum consecrationis mundi Cordi Immaculate BMV, 1959. — H. Apodaca, El corazon de Maria en las almas, 1959. — M. Peinador, Teologia biblica cordimariana, 1959. — P. M. Lustrissimi, La devozione al cuore di Maria, In: Mar. 23 (1961) 337-342. — J. Solano (Hrsg.), Sociedad teologica de los estudios teologicos sobre los sagrados corazones II, 1961. — F. Juberias, Espiritualidad cordimariana, 2 Bde., 1960. — J. Agusti, San Antonio M. Claret en la devocion al corazon de Maria, 1963. — J. M. Sarria, Fundamenta et sensus consecrationis Cordi Immaculate BVM, 1964 — Josef Stimpfle, Weihe an das Unbefleckte Herz Mariä. Begründung, Sinn, Ziel u. Durchführung der Weihe an das Unbefleckte Herz Mariä, Augsburg 1975 – K. Wittkemper, Marienverehrung und Herz-Jesu-Frömmigkeit, in: H. Petri (Hg.), Christsein u. marianische Spiritualität, Regensburg 1984, S. 177-204 – F. Holböck, Cor unum. Ein Herz im Herzen Jesu und Mariae, Salzburg 1985 – D. Fernandez, El Corazon de Maria en los Santos Padres, In: EphMar 37 (1987) 81-140. — Chr. v. Schönborn OP, Maria – Herz der Theologie – Theologie des Herzens, in: W. Baier (Hg.), Weisheit Gottes. Weisheit der Welt, Bd. 1, St. Ottilien 1987, S. 575-589 – A. Molina Prieto, Cuatro formulas de consagracion Mariana: Eudes, Montfort, Claret y Kolbe, In: EphMar 38 (1988) 7-54. – DThC III 351- 354. – LThK2 V 300-302 – K. Wittkemper, Herz Jesu – Herz Mariä, in: Theologisches 12 (1989) Sp. 667-674 – G. Rovira (Hg.), Die Verehrung der Herzen Jesu und Maria, Stein am Rhein 1992 – M. Hauke (Hg.), Die Herz-Mariä-Verehrung. Geschichtliche Entwicklung und theologischer Gehalt (Mariologische Studien, 22), Regensburg 2011, darin: M. Hauke, Geschichtliche u. systematische Grundlinien der Herz-Mariä-Verehrung, S. 7-34; Th. Marschler, Das Herz Mariens in seiner Beziehung zum dreifaltigen Gott nach der Lehre des hl. Jean Eudes, S. 85-108; Imre de Gaàl, Die Herz Mariae-Verehrung im Leben und Denken des hl. Antonio Maria Claret, S. 131-145.

Autor: Johannes Stöhr (1990, Literatur ergänzt 28.6.2023).