MARIENLEXIKON

Gottschalk von Aachen

Marienlexikon, Bd.II, S.694 (erschienen 1989) – von Letha Böhringer

Gottschalk von Aachen (fälschlich: von Limburg) ist zwischen 1071 und 1102/1104 als Notar und Diktator der Kanzlei Heinrichs IV. nachweisbar, für den er im Investiturstreit auch propagandistische Briefe entwarf. Noch im Königsdienst wurde er Propst am Servatiusstift in Maastricht (vor 1087) und am Aachener Marienstift (nach 1091), legte diese Ämter aber später nieder und wurde Benediktiner in Klingenmünster an der Haardt (vor 1108). Gottschalk können aufgrund der Überlieferung sowie stilistischer Kriterien fünf theol. Opuscula und 23 (evtl. 24) Sequenzen zugeschrieben werden, darunter vier Mariendichtungen: AHMA 50,265 (Fecunda verbo), 266 (Exsulta, exaltata), 281 (Mater dilecta) und 282 (Ave Maria); davon entstanden Nr. 265 und 266 (sowie vermutlich Opusc. I und II, in denen Gottschalk diese Sequenzen gegen Kritik verteidigt) wohl vor seinem Klostereintritt; da Opusc. V, eine Marienpredigt, keine Anzeichen von theol. Auseinandersetzungen aufweist, dürfte es noch früher anzusetzen sein.
Gottschalk gilt als bedeutender und origineller Dichter, dessen Werke sich durch mystisch gefärbte Bilder und kunstvolle Stilfiguren auszeichnen. Mit Hilfe bibl. Anspielungen, geläufiger Ehrentitel (Nr. 266 Vers 2b: »Stella maris, Maria, caeli regina, mundi domina«; in Opusc. II, 12 erwähnt Gottschalk Sequenzen Notkers des Stammlers und Hermanns v. Reichenau) und vielfach antithetischer Wortspiele betont er die aus der Schöpfung herausgehobene Stellung Mariens (Opusc. V, 13: »hoc corpus plus quam virgineum«; vgl. auch I, 20; II, 6 sowie Nr. 266 Vers 7a), durch deren Erwählung die nach dem Sündenfall verfeindete himmlische und irdische Sphäre, Menschen und Engel versöhnt worden seien (Opusc. V, 3: »ut destrueretur inter angelum et hominem inimicitia, electa es tu«). Ferner hebt Gottschalk Mariens einzigartige und unentbehrliche Mittlerfunktion hervor (Opusc. V, 2: »per quam solam a solo salvabitur omnis salvandus«; vgl. Nr. 265 Vers 7). Die theol. Kritik an Nr. 265 entzündete sich an Gottschalks Auffassung von der Präexistenz Christi (vgl. Vers 4a/b mit Opusc. I, 22-24), der Streit um Nr. 266 hingegen am Problem der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel, die Gottschalk nicht als Glaubensgewißheit, sondern als Möglichkeit und Wunsch der Gläubigen formulierte: »optat tibi plebs fi- delis Domini et corona resurgentium nunc te laetari« (Nr. 266 Vers. 6b, vgl. Opusc. V, 12). Seine Zurückhaltung stieß bei den Zeitgenossen auf Unverständnis, so daß er in Opusc. II ausführlich darlegt, man könne zwar aus der Erwählung Mariens ihre Auferweckung vor allen anderen Menschen gläubig erschließen, aufgrund der Offenbarung jedoch keine eindeutigen Aussagen in dieser Frage treffen (bes. Opusc. II, 13), wobei er sich auf (Ps.-)Hieronymus, Epist. 9 »Cogitis me« beruft (tatsächlich von Paschasius Radbertus).

Ausgaben: Guido M. Dreves, Gottschalk, Mönch von Limburg an der Hardt und Propst von Aachen, In: Hymnologische Beiträge 1 (1897); Sequenzen auch in: AHMA 50, 264-86 — Szôvérffy I, 409-413
Literatur: 2VL III (1981) 186-189.

Literaturergänzung:
Richard Antoni, Gottschalk von Limburg. Der Hofkaplan und Kanzleivorsteher Heinrichs IV. erklärt und verteidigt seine Dichtungen (mit lat. Text der Marien-Sequenzen u. -Opuscula samt dt. Übersetzung), Heidelberg 2015; Guido M. Dreves u. Clemens Blume, Ein Jahrtausend lateinischer Hymnendichtung, Teil 1 (Hymnen bekannter Verfasser), Leipzig 1909 (S. 184 f.); Wilhelm Gundlach, Ein Dictator aus der Kanzlei Heinrichs IV., Innsbruck 1883; Achim Th. Hack, Art. „Gottschalk von Aachen“, in: BBKL XIX (2001) Sp. 580 ff.; Tilman Struve, Art. „Gottschalk von Aachen“, in: Lex MA (1989) IV, 1610; ders., „Adalbero C = Gottschalk von Aachen“, in: RI, Abt. 3 (Bd. III, Teil 2, Lief. 2, Köln 2010), S. 110.

Anmerkung: R. Antoni greift in seinem Werk auf eine Namenstitulierung des Musikwissenschaftlers Guido M. Dreves (1897) zurück, wonach Gottschalk zunächst Mönch im damaligen Reichskloster Limburg an der Haardt gewesen sei, bevor er als Kanoniker nach Aachen an den kaiserlichen Hof ging, um schließlich wieder Mönch zu werden, allerdings in Klingenmünster an der Haardt; entsprechend will Antoni von „Gottschalk von Limburg“ sprechen, was in der Geschichtswissenschaft keine Zustimmung findet. Gottschalk soll vom Niederrhein stammen, seine historische Präsenz verbindet sich wesentlich mit dem kaiserlichen Hof in Aachen. A. Dittrich (10.3.2023)