MARIENLEXIKON

Turm Davids (Turris Davidica)

Artikel „Davidsturm“, in: ML II (1989) 153 f. (G. Nitz, überarbeitet 2024)

Davidsturm – Aus dem Hohelied (Hld 4,4,) stammt das Bild vom »Turm Davids, mit Steinvorsprüngen versehen; tausende Schilde hängen an ihnen, alle Waffen der Helden«. Dieses Vergleichsbild, das in Hld der Braut gilt, wurde in der Patristik u. der mittelalt. geistlichen Dichtung sinnbildlich auf Maria bezogen. Als Anrufungstitel der -> Lauretanischen Litanei zählte es auch später zu den geläufigsten Symbolen der Muttergottes.
Der motivischen Assoziation liegen drei Hauptgedanken zugrunde: 1. Die schützenden Mauern des Turmes sind eine Metapher für den Schoß Mariens bei der Menschwerdung Christi: »… Filii Dei qui est verus David inhabitationem« (Richard v. St. Laurentius, De laudibus Beatae Mariae Virginis XI, 5; ed. A. Borgnet, Alberti magni opera omnia XXXVI, Paris 1898, 575). – 2. Wie der Turm als Ort der Zuflucht Schutz vor dem Feind bietet, so gewährt Maria den Menschen Schutz vor Gefahren u. Anfechtungen: »Haec est sicut turris Davis, i. e. manu fortis, quia fideles forte in ea refugium invenient« (Alb. Magnus, De assumptione Mariae Serm. 32). – 3. Der uneinnehmbar befestigte Turm ist Gleichnis für die unversehrte Jungfräulichkeit: »Haec est turris, quam vallavit incorrupta deitas« (vgl. Salzer 12,21). Die Mauervorsprünge (propugnacula) sind Zeichen der Tugenden, Würden u. Hoheitsrechte Mariens; die 1000 Schilde bedeuten die Tugenden, welche die Anfechtungen des Teufels abwehren (De laudibus op. cit. 375). Die Schilde werden auch als die beschützende Macht der himml. Heerscharen gedeutet (Alb. Magnus op. cit.), und als die Kraft, die den Glaubenden gegeben wird (vgl. Salzer 546, 64).
Die ausführliche Erläuterung der marian. Turmsymbolik durch Richard v. St. Laurentius bezieht neben dem D. andere bibl. Turmbauten ein: den Elfenbeinturm (Hld 7,5), den Turm der Herde (Mi 4,8), den Turm von Tebez (Ri 9, 51-53), den Turm von Libanon (Hld 7,4), den Hananelturm (Jer 31,38), und den Turm, den der Herr in seinem Weinberg erbaute (Jes 5,2). In der bildenden Kunst ist der D. geläufig im -> Heilsspiegel als typolog. Figur, im -> »Hortus conclusus« als Zeichen der Keuschheit Mariens, und in der -> Lauretan. Litanei als Symbol der UE. Der sog. Albrechtsmeister verbindet das Turmsinnbild mit einer ungewöhnlichen Darstellung in einer Tafel des ikonographisch weitausholenden Altars, um 1439 (Karmeliterkirche »Zu den neun Chören der Engel«, Wien, jetzt in Klosterneuburg, Stiftsmuseum). Als Königin des Engelschors der Potestates steht Maria in ritterlicher Rüstung neben dem D., der durch die Inschrift identifiziert und mit weiteren Rüstungsteilen, sowie Schwert und Armbrust behängt ist; die vier Engel zu Seiten Mariens erscheinen ebenfalls als Ritter in zeitgenöss. Rüstung. Die motivische Assoziation mit der Mulier fortis und der -> Braut, die »furchterregend wie Bannerscharen« (Hld 5,10) erscheint, knüpft hier an die Ermahnung zur geistigen Waffenrüstung zum Kampf gegen den Teufel (Eph 7,11-17).
Heilsspiegel: In der Typologie des Speculum humanae salv. sind der Turm Baris und der Turm Davids Figuren der Verlobung Mariens (Appuhn Abb. S. 18).
Mystische Einhomjagd: Zu den bibl. Symbolen u. Präfigurationen der Jungfräulichkeit Mariens u. der Menschwerdung Christi gehört der Turm Davids in Darstellungen der Verkündigung (Kupferstich von Cornelis Cort [1571] nach zerstörtem Lunettenfresko von F. Zuccari [1566], in Rom, S. Maria Annunziata).
Der Davidsturm kommt als Element im »Hortus conclusus« vor, bei allegor. Darstellungen der Verkündigung als mystische Einhornjagd; er erhebt sich mit weiteren Symbolen im verschloss. Garten (Leinenstickerei, Schwaben um 1500, München, Bayr. Nat. Mus., Inv. T 1742) oder wird sinnfällig als architekt. Glied der Umfriedung (Altarflügel um 1500, Braunschweig, Herzog-Anton-Mus., Inv. 33; Fresko von G. M. Falconetto (um 1514, San Giorgetto / S. Pietro Martire, Verona).
Bei der sym. Architektur der Kompositon Falconettos steht der D. dem Elfenbeinturm gegenüber; dabei bieten die »1000 Schilde« ein auffallendes Unterscheidungsmerkmal zwischen den sonst gleichgestalteten Rundtürmen. Wo aus Kompositionsgründen nur ein Turm in »Hortus-conclusus«- Darstellungen erscheint, vereinigt er die Assoziationen der beiden Turmsymbole.
Unbefleckte Empfängnis: Bestimmte, hauptsächlich aus dem AT stammende Motive — darunter der D. — die im MA als Sinnbilder der jungfräul. Mutterschaft Mariens galten, wurden in der Lauretan. Litanei zusammengefasst und vom 16. Jh. an als allegor. Bilder ihrer erbsündefreien Empfängnis gedeutet (vgl. -> Immaculata). In einem gedruckten franz. Stundenbuch (1505) sind 15 durch Schriftbänder identifizierte Symbole flächenhaft, eher emblematisch um die Gestalt der -> Tota pulchra angeordnet (G. Hartlaub, Zauber des Spiegels, 1951, Abb. 142); ähnlich bei der »Verehrung Marias durch Joachim und Anna«, Gemälde von V. J. Masip, gen. Juan de Juanes (gegen 1500-1579), in Sot de Ferrer, Spanien (B. Kleinschmidt, Die hl. Anna, 1930, Abb. 137). Bald werden die Symbole in die Landschaftsumgebung als Hintergrund oder als »Erdenzone« unterhalb der schwebenden Figur der Immaculata integriert: Hans Weiditz, Holzschnitt, 1. H. 16. Jh. (Hartlaub, a.a.O., Abb. 143); Fr. Vanni, Altargemälde der UE, 1588, S. Salvatore in Montalcino (Ausst. Kat. »L‘Arte a Siena sotto i Medici. 1555-1609«, Rom 1980, Nr. 48, Abb. 131), Francisco Zurbaran, Immaculata (1630), Karmeliterkirche von Jadraque, Guadalupe.
Der Davidsturm bleibt ein geläufiges Mariensymbol der barocken Deckenmalerei im süddt. Raum: C. D. Asams: Mariae Verkündigung als Vermittlung der göttl. Gnade an die vier Erdteile, Deckenfresko in St. Maria de Victoria, Ingolstadt, 1734; J. G. Lederer: Ornamentkartuschen, monochrome Malerei mit 8 Symbolen der UE in den Gewölbezwickeln des Langhauses der Pfarrkirche St. Martin in Obereglfing, 1757.

G. Nitz (überarbeitet 2024)

Literatur: Salzer. — Trens. — Mâle III.
E. Guldan, Eva u. Maria. Eine Antithese als Bildmotiv, 1966. — Immaculata Conceptio, In: LCIII 338 ff. — W. Dürig, Die Lauretan. Litanei. Entstehung, Verfasser, Aufbau u. mariologischer Inhalt, St. Ottilien 1990. – Heilsspiegel. Die Bilder des mittelalt. Erbauungsbuches Speculum humanae salvationis (H. Appuhn), 1981. – A. Henry (Hrsg.), The Mirour of Mans Salvacioune, 1986. – H.-U. Weidemann, Maria, Hilfe der Christen: ein Fest u. sein Evangelium, in: J. Kreiml u.a. (Hg.): Mariahilf. Geschichte – Theologie – Frömmigkeit. Regensburg 2021, S. 92. (G. Nitz / A. Dittrich, 19.12.2024).