MARIENLEXIKON

Rosenkranz (theologiegeschichtlich)

„Rosenkranz: Theologiegeschichte“ (ML V, 1993, 553 ff.) – von Andreas Heinz (aktualisiert Mai 2025).

Begriff: „Rosenkranz“ meint in seiner kirchenamtlich geordneten Form (vgl. MarialisCultus 49) eine in Zehnergruppen gegliederte Reihe von 150 -> Ave- Maria, wobei jede Dekade von einem Vaterunser eingeleitet und der kl. trinitarischen Doxologie »Ehre sei dem Vater« beschlossen wird. Wesentlich gehört zu dem so gegliederten Wiederholungsgebet die gleichzeitige Betrachtung des in Jesus Christus ausgeführten Heilsplans Gottes (vgl. Eph 3,11). Gebetspsychologisch hilfreich wird das eine Erlösungsmysterium Christi in 15 Einzelgeheimnisse (Gesätze) auseinandergefaltet, die in heilsökonom. Abfolge nacheinander Gegenstand der Betrachtung in den 15 Ave-Maria-Dekaden sind. Neben dieser Vollgestalt wird ein Drittel des gesamten Gebetes, also jeweils fünf Dekaden oder Gesätze, als „Rosenkranz“ bezeichnet, wobei man je nach dem Inhalt der Geheimnisse zwischen dem freudenreichen (Menschwerdung u. Kindheit Jesu), dem schmerzhaften (Leiden u. Sterben) und dem glorreichen R. (Jesu Erhöhung u. die in Maria als der Ersterlösten betrachtete Vollendung des Menschen) unterscheidet. Während es beim privaten Gebet genügt, die Geheimnisse der Erlösung im Geist zu betrachten, wird beim gemeinsamen R.-Gebet das jeweilige Gesätz vor jeder Ave-Zehner-Gruppe einmal genannt (beim OP-Orden und in den roman. Ländern) oder an den Namen Jesus in jedem Ave-Maria einer Dekade als jeweils neuer Meditationsimpuls hinzugefügt, was die Betrachtung erleichtert (dt. Art). Der heute übliche, theol. u. pastoral sinnvolle »Eingang« des R. (Apostolicum, Doxologie, Vaterunser, drei Ave-Maria mit den eingefügten Bitten um Glaube, Hoffnung u. Liebe, Ehre sei dem Vater) gehört nicht als integrierender Bestandteil zum R. Auch die zum Zählen der W.gebete dienende Perlenschnur (Zählgerät) wird R. genannt; ihre Benutzung ist freigestellt, ihre Segnung empfohlen, nicht aber vorgeschrieben (vgl. Dt. Benediktionale, 1978, Nr. 45; De Benedictionibus 1984, Cap. 38).

Wurzeln und Vorformen: Wiederholung ist Merkmal jeder Meditation. Im Orient u. im frühmittelaltl. westlichen Mönchtum diente in der Regel ein Schriftwort, meistens ein prägnanter Psalmvers, etwa 70,2 oder 85,8, als Meditationstext; häufig wiederholt, half er, in unablässigem Gebet Gottes Nähe zu suchen, seine Heilstaten zu erwägen und aus der beständigen Gottzugewandtheit dem Bösen zu widerstehen. Die grundsätzlich freibleibende Anzahl der Wiederholungen orientierte sich tatsächlich häufig an der Zahl der 150 Psalmen, vereinzelt auch an der mit 2606 angegebenen Gesamtzahl der Psalmenverse. Besonders im irischen Mönchtum galt es als asketisches Ideal, täglich die 150 atl. Psalmen auswendig zu rezitieren oder wengistens ein oder zwei Drittel des in drei Dreiergruppen gegliederten Psalteriums (altirisch: na tri cecait — die drei Fünfziger). Im ma. Bußwesen begegnen ein oder mehrere Quinquagenen von Psalmen als den Pönitenten aufzuerlegende Bußleistung, in der privaten Frömmigkeit als freiwillige asket. Übung oder als Gebetsdienst für Verstorbene. Für die des Lesens Unkundigen, die illiterati, ersetzte ein entsprechend oft wiederholter leicht zu behaltender Psalmvers oder ein anderes Kurzgebet als quantitatives Äquivalent das wirkliche Psalmenbeten. Als Ersatz- u. W.gebet dominierte zunächst das von jedem Getauften auswendig zu wissende Vaterunser nach dem Grundsatz: »Qui non potest psallere debet patere …«. Die Consuetudines von Cluny aus der Mitte des 11. Jh.s (PL 149,776) ließen z. B. die Laienbrüder anstelle des den Priestermönchen für einen Verstorbenen aufgegebenen Pensums von 50 Psalmen 50 Paternoster beten. Auch die Psalmen der Horen konnten die Konversen und Brüder durch eine entsprechende Anzahl von Vaterunsern ersetzen (vgl. Centenarium der Zisterzienser; -> Franz v. Assisi, Regula bullata, c. 3). Zur Zählung des W.gebets diente die Paternoster Johannes v. Fecamp, -> Anselm v. Canterbury, -> Ekbert und -> Elisabeth v. Schönau). Bes. -> Bernhard v. Clairvaux und sein Zeit- und Ordensgenosse -> Aelred v.Rievaulx sind Repräsentanten einer auch für -> Franz v. Assisi und -> Dominikus charakteristischen, betont den ird. Jesus in der Niedrigkeit seines Menschseins und seiner Passion zugewandten Christusfrömmigkeit, deren entfernte Wurzeln sich freilich schon bei Origenes ausmachen lassen (vgl. W. Baier). Aelred hat in »De institutione inclusarum« als erster aus dem Geist bernhardin. Christusmystik eine in viele Einzelpunkte gegliederte, dem Gang des Evangeliums folgende Leben-Jesu-Mediation entworfen, die dem Beter helfen soll, sich eindrücklich das jeweils betrachtete Jesus-Ereignis zu vergegenwärtigen, sich davon ergreifen u. bewegen zu lassen. Der motivische Bogen spannt sich von der Verkündigung des Erlösers an Maria bis zur Erscheinung des Auferstandenen vor den Frauen. Der Einfluss Aelreds reicht über -> Ludolfs v. Sachsen Vita Christi bis zur Leben-Jesu-Betrachtung in den Ignatian. Exerzitien (2. Woche). Eine systemat. Verbindung von stark marian. akzentuierten Betrachtungsgeheimnissen und einer Reihe von 15 Ave-Maria begegnet erstmals in der »Meditation über die Freuden Marias« des Zisterzienserabtes -> Stephan v. Sallay (t 1252). Voraussetzung dafür, dass sich wohl noch im 13. Jh. die in Einzelgeheimnisse entfaltete Meditation des Christus- mysteriums mit der Ave-Reihe des R. verband, war das wache Gespür für das Christus- lob auf dem »Gipfel« des Englischen Grußes, der in seiner ma. Gestalt mit den Worten »benedictus fructus ventris tui« endete. Um den christol. Höhepunkt des Ave-Maria zu verdeutlichen, begann man seit dem ausgehenden 13. Jh., dem bibl. Wortlaut des Ave den Namen Jesus bzw. Jesus Christus hinzuzufügen. So konnte der Engelsgruß an Maria noch stärker als Anfangsereignis des mit der Inkarnation zur Verwirklichung kommenden Christusmysteriums erfasst werden. Angesichts des Christuslobs im Ave-Maria schien es nicht abwegig, dieses als W.gebet einer Betrachtungsübung zu verwenden, die das Heilswerk des aus Maria Mensch gewordenen Gottessohnes dankbar erwägt. Im Milieu der gleichermaßen christol. u. marianisch geprägten Spiritualität der Zisterzienser wuchsen die Ave- Reihe und die in Einzelpunkte gegliederte Betrachtungsreihe des Christusereignisses zusammen. Das früheste dafür bisher bekannt gewordene Beispiel ist die Danksagung für die »bénéficia incarnationis« in einer Handschrift (um 1300) aus der ehem. Zisterzienserinnenabtei St. Thomas bei Trier: In einer Reihe von 100 Ave-Maria wird dem Lobpreis Christi jeweils ein »Geheimnis« angefügt, angefangen von der Erschaffung des Menschen bis zur endzeitl. Vollendung der Welt, worin erinnernd u. begründend ins Wort gebracht wird, weshalb der Sohn Mariens lobwürdig ist.

Ursprung und Verbreitung: Ausgangspunkt des heutigen R. in der dt. Art waren aber nicht die zisterziens. Vor- u. Frühformen, sondern der Leben-Jesu-R. des -> Dominikus v. Preußen (+ 1460). Vom Prior der Trierer Kartause, -> Adolf v. Essen (+ 1439), in die der ma. Jesus- u. Marienfrömmigkeit verpflichtete Geistigkeit des Ordens eingeführt und zum Gebet des Ave-Fünfzigers angeleitet, »erfand« der Novize Dominikus wohl im Advent 1409 seinen R., in dem er dem Namen Jesus am Ende eines jeden Ave-Maria eine Clausula, d.h. einen Relativsatz, als »Schluss« dem damaligen Ave-Maria hinzufügte, der bedachte, was Jesus uns zugute getan, gelehrt u. gewirkt hat, und weshalb er folglich »gebenedeit« zu werden verdient. Die Reihe der von Dominikus dem Evangelium entnommenen 50 Betrachtungspunkte (Verkündigung bis zur fortdauernden Herrschaft Christi) wurde rasch, vornehmlich bei Kartäusern u. Benediktinern, verbreitet; Adolf v. Essen warb als Begleiter des Reformabtes von St. Matthias, Johannes Rode OSB, auf dessen Visitationsreisen eifrig für die neue Gebetsform. In der Folgezeit förderten namentlich die Dominikaner, v. a. -> Alanus de Rupe (+ 1475), der in seinem Ordensstifter Dominikus fälschlicherweise auch den Stifter des R. sah, den mit 150 Geheimnissen ausgestatteten, durch Vaterunser in Zehnergruppen gegliederten Marienpsalter sowie den durch die Trierer Kartäuser zum Leben-Jesu-R. umgeformten, in Dekaden unterteilten Ave- Fünfziger. Die Reduktion der 150 bzw. 50 Geheimnisse auf die leicht zu behaltenden 15 (schon 1483 nachweisbar; vgl. Stephan v. Sallay) ließ den R. zum Volksgebet werden, dessen weltweite Verbreitung die Rosenkranzbruderschaften (erste in Köln 1475 durch -> J. Sprenger OP), Werbeschriften und nicht zuletzt Empfehlungen der Päpste förderten: Sixtus IV. (1478), Leo X., Pius V. (Lepanto), Pius IX., Leo XIII. (16 Rundschreiben; Oktober als R.-Monat; Einfügung der Anrufung »Königin des hl. Rosenkranzes« in die -> Lauretan. Litanei), Pius XI., Pius XII., Joh. XXIII., Paul VI. u. Joh. Paul II. -> Lourdes und -> Fatima gaben dem R. neuen Auftrieb. Der hl. Papst Joh. Paul II. hat den klass. drei R.-Geheimnissen ein weiteres hinzugefügt, den „Lichtreichen Rosenkranz“ (16.10.2002, Apostol. Schreiben „Rosarium Virginis Mariae“).

Bleibende Bedeutung: Die Gefährdung des Rosenkranzes durch eine zu sehr auf quantitative Leistung bedachte Auffassung und durch einen veräußerlichten Vollzug mindert nicht den bleibenden Wert des am meisten bekannten u. verbreiteten kath. Volksgebets, das -> R. Guardini („Der Rosenkranz unserer Lieben Frau“, 1940, S. 25) charakterisiert hat als »das Verweilen in der Lebenssphäre Mariens, deren Inhalt Christus war«. Es leitet an, die Mysterien der Herablassung, des erlösenden Leidens u. der Erhöhung des Herrn (Phil 2,6-11) mit den Augen der Mutter Christi zu betrachten, die ihm Wegbegleiterin war und schon voll an seiner Auferstehungsherrlichkeit teilhat. Den R. zeichnet wegen seines bibl. Charakters, seines christol. Gehalts und seiner Anlage als Gemeinschaftsgebet im Sinne von SC 13 eine gewisse Liturgie-Nähe aus; seine Rezitation während der Messe ist jedoch nicht sinnvoll u. deshalb untersagt (MCu 48). Das gemeinschaftl. R.-Gebet ist mit einem vollkommenen Ablass, das private mit einem Teilablass ausgezeichnet, wobei als Voraussetzung nur verlangt wird, dass das mündl. Gebet sich mit der Betrachtung der Geheimnisse verbindet (Enchiridion indulgentiarum 4./1999, Nr. 17, §1; dt.: Handbuch der Ablässe, 2./2008).

Literatur: Philipp Hammer, Der Rosenkranz, 4 Bde., Paderborn 1892 / 4./1903. – Thomas Esser OP, Unserer Lieben Frauen Rosenkranz, Paderborn 1889. – R. Guardini, Der Rosenkranz Unserer Lieben Frau, Würzburg 1940. – Willibald Kirfel, Der Rosenkranz. Ursprung u. Ausbreitung, 2./1949 (Neudruck 2003). – E. M. Willam, Die Geschichte u. Gebetsschule des Rosenkranzes, 1948. — Meersemann. — Wilfried Kirsch, Handbuch des Rosenkranzes, 1950. – K. J. Klinkhammer, Adolf v. Essen u. seine Werke, 1972. — Andreas Heinz, Die Zisterzienser u. die Anfänge des R., In: Analecta Cisterciensia 33 (1977) 262-304. — 500 Jahre Rosenkranz (Katalog mit Beiträgen von K. J. Klinkhammer, Gislind Ritz u.a.), Köln 1975. – W. Baier, Untersuchungen zu den Passionsbetrachtungen in der Vita Christi des Ludolf v. Sachsen, 1977. — F. Mancini, Da i salmi al rosario, In: Vita monastica 132 (1978) 107-123. — R. Scherschel, Der R. — Das Jesusgebet des Westens, 2./1982. — A. Heinz, Lob der Mysterien Christi, In: H. Becker u. a. (Hg.), Liturgie u. Dichtung I (1983) 609-639. — Tibor Gallus SJ, Der Rosenkranz. Theologie der Muttergottes, Stein am Rhein 2./1983. – A. Enard, Le Rosaire, 1987. — H. Schürmann, R. u. Jesusgebet, 1987, 2./1988. — Beinert-Petri (1987) 379-385. — LThK2 IX 45-48. – DSp XIII 937-980. – NDMar II 1207-15. – Chr. Schütz (Hg.), Prakt. Lexikon der Spiritualität, 1988, 1064 f. – Beinert-Petri I (1996) 526-566 (Fr. Courth). – TRE 29 (1998) 403-407 (A. Heinz). – LThK VIII (1999) 1302-1305 (A. Heinz). – Urs-Beat Frei u. a. (Hg.), Der Rosenkranz. Andacht – Geschichte – Kunst (Katalog mit Beiträgen von A. Heinz, Stefan Jäggi, P. Dondelinger, R. Fiedler u.a.), Bern 2003. – LJ 55 (2005) 235-247 (A. Heinz). – P. Keller u.a. (Hg.): Edelsteine, Himmelsschnüre. Rosenkränze & Gebetsketten (Katalog), Salzburg 2008 (Lit. ergänzt durch A. Dittrich, Mai 2025).