Louis-Marie Grignion de Montfort (Heiliger, fr. Volksmissionar)
„Ludwig-Maria Grignion von Montfort“ – Artikel von Hermann Josef Jünemann SMM (ML III, 1990, S. 28 f.)
Überarbeitung im Nov. 2024 durch Prof. Imre von Gaàl (Chicago)
Leben und Werk: * 31.1.1673 als Sohn eines Rechtsanwaltes in Montfort-sur-Meu/Bretagne, † 28.4. 1716 in St. Laurent-sur-Sèvre, besuchte eine Jesuitenschule, absolvierte Theol.-Studien 1693-1700 im Priesterseminar St. Sulpice in Paris, wurde 1700 ebd. zum Priester geweiht und versah von 1701-1703 und 1704-1705 den priesterl. Dienst am Hôspital Général von Poitiers. 1706 erhielt er vom Papst Gregor XI. den Titel »Apostolischer Missionar« und predigte bis zu seinem Tod bei annähernd 200 Volksmissionen im Nordwesten Frankreichs.
Grignions Fähigkeit, sich auf die Mentalität der Gläubigen einzustellen, die Volksfrömmigkeit aufzugreifen und am Evangelium auszurichten, sein radikal gelebtes Vertrauen in die göttl. Vorsehung und seine tiefe Zuneigung zu den Armen u. Einfachen trugen ihm den Beinamen »der gute Pater von Montfort« ein. Eine selbstgeschnitzte Holzmadonna mit Kind begleitete ihn auf seinen vielen Reisen.
Er stiftete 1703 die Kongregation »Töchter der Weisheit« (FdLS) und 1713 die Priester-Kongreg. -> »Missionare der Gesellschaft Marias« (SMM, Grignioniten, Montfortaner). Grignion wurde 1888 selig- u. am 20.4.1947 heiliggesprochen (Gedenktag: 28.4.)
In seiner geistl. Lehre läßt sich G. von seinem missionarischen Charisma leiten: Ziel ist es, die Liebe der Christen zur ewigen, menschgewordenen Weisheit — die er, inspiriert von der bibl. Weisheits-Lit., mit dem menschgewordenen Wort identifiziert — zu wecken, ihnen einen sicheren Weg zum Besitz der Weisheit zu zeigen und sie davor zu bewahren, in die Weisheit der Welt zurückzufallen. Für ihn ist der Dualismus von Christus u. Welt unaufhebbar. Evangelium u. Kreuz waren ihm Orientierung. Er kennzeichnet den Weg zum Besitz der Weisheit durch vier Momente: brennendes Verlangen, beharrliches Gebet, vollkommene Abtötung und wahre Marienverehrung. Die Gestalt Mariens steht für ihn im Schnittpunkt der beiden Wege, auf dem die Weisheit zum Menschen kommt und auf dem die Menschen zur Weisheit gelangen. Durch Marias Zustimmung zum Heilsplan Gottes, die G. als notwendig, repräsentativ, heilbringend u. ewig bestimmt, kann die Weisheit den Menschen erreichen, wird die Inkarnation ermöglicht. Diese ist ihm Höhepunkt der Heilsgeschichte sowie Grundmysterium des Lebens Jesu, das alle anderen Lebensmysterien in sich birgt. Dieses Grundmysterium hat marian. Charakter, weil es in der gegebenen Heilsordnung ohne Maria nicht denkbar ist. Die aus der Inkarnation sich ergebende Gottesmutterschaft ist so auch Grundmysterium im Leben Mariens; sie ist die Mutter, das ist G.s eigene myst. Erfahrung und ein zentraler Punkt seiner theol. Gedanken über Maria. Hier ist die unaufhebbare Bindung zwischen Christus u. Maria verankert, die in der Verherrlichung fortdauert; hierin sieht G. begründet, dass Maria in der objektiven u. subjektiven Erlösung, die nur zusammen die eine Heilsgeschichte konstituieren, eine entscheidende Rolle hat. Maria hat deshalb die Aufgabe, zusammen mit dem HL Geist die Glieder des Leibes Christi hervorzubringen. Sie hat von Gott die Macht erhalten, die Weisheit in den Herzen der Menschen sich inkarnieren zu lassen. Maria ist so die wirksamste Hilfe auf dem Weg zu Christus, sie ist das sicherste, leichteste, kürzeste u. heiligste Mittel, um zur Vereinigung mit Jesus zu gelangen. Deshalb ist die „wahre Marienverehrung“, die sich auszeichnet durch Innerlichkeit, Beständigkeit, Heiligkeit u. Uneigennützigkeit, mehr als nur schmückendes Beiwerk im christl. Leben.
Grignion lehrt eine vollkommene Praxis der „wahren Marienverehrung“, die darin besteht, »sich ganz Maria und durch sie Jesus in der Eigenschaft eines Sklaven zu weihen, indem man ihr rückhaltlos u. auf ewig seinen Leib u. seine Seele, seine inneren u. äußeren Güter, den genugtuenden u. verdienstlichen Wert aller seiner guten Werke u. sein eigenes Verfügungsrecht darüber u. endlich alle Güter schenkt und weiht, die man in der Vergangenheit empfangen hat, gegenwärtig besitzt und in Zukunft besitzen wird« (ASE 219), d. h. in einer uneingeschränkten un.ganzheitlichen Hingabe seiner selbst an Jesus Christus durch Maria. In seiner heilsgeschichtl. Perspektive, die Jesus u. Maria im Erlösungswerk untrennbar verbunden sieht, kann G. die Weihe an Maria als Weihe an Christus ausweisen. In einer einzigen Bewegung ist Christus das letzte Ziel, während Maria das ganz auf ihn hingeordnete, vollkommene Mittel ist. Die geforderte Radikalität in der Hingabe hat ihre Wurzeln letztlich im Taufgeschehen, durch das der Mensch Eigentum Christi u. Mariens wird, da beide an seiner Erlösung Anteil haben. Deshalb kann G. seine marian. Weihe als vollkommene Erneuerung der Taufgelübde bestimmen; diese bedeuten Anerkennung u. Annahme der Weihe, die der Christ in der Taufe empfängt und auf die er nur adäquat antworten kann, indem er sich selbst weiht. Deshalb ist die marian. Weihe G.s Aktualisierung u. Realisierung der Taufgelübde, sie ist ein freiheitliches, persönliches, verantwortetes Engagement: sich seiner Berufung als Christ bewusst zu werden und sich entschieden auf den Weg zu machen, das Ziel dieser Berufung, die Vereinigung mit Christus, zu erreichen. Es ist Grignions Intuition, dass Maria dem Christen auf diesem Weg am nächsten ist; ihr folgen, ihre ev. Tugenden nachahmen, ihre geistl. Haltungen übernehmen, sich von ihrer Hilfe abhängig machen, das macht den Christen dem Heiland ähnlich. Die tägliche Praxis, die diese Umformung allmählich bewirkt, besteht darin, alles »durch Maria, mit Maria, in Maria und für Maria zu tun, um es vollkommener durch Jesus, mit Jesus, in Jesus und für Jesus zu tun« (VD 257).
Die barocke Sprache G.s bereitet dem Leser heute einige Schwierigkeiten. Wer dieses Hindernis überwindet, stößt auf Schriften, die sich auszeichnen durch die Verbindung von MV u. christl. Erfahrung sowie einem tiefen Respekt vor der Hierarchie der Werte (-> Melchior v. Cetina). Während die Franz. Schule der Spiritualität Maria als Braut Gottvaters wahrnimmt, thematisiert sie Grignion als Braut des Hl. Geistes – ihre Gaben verteilt sie weltweit.
Grignions Christus-zentrierte Marienfrömmigkeit trug zur Eindämmung des Jansenismus sowie des Calvinismus in Frankreich bei. Die Opposition der Vendée (1793-96) gegenüber der Franz. Revolution wurde von G.s Marienfrömmigkeit mitmotiviert. Seit ca. 1995 erfreut sich die Marienweihe im Sinne Grignions weltweit wachsender Beliebtheit, dank der Förderung durch den Hl. Johannes Paul II.
QQ:
Die Liebe zur ewigen Weisheit (1703; ASE); Abhandlung über die wahre Marienverehrung (1712, 1843 wiedergefunden; VD); Gesammelte Werke, hg. v. Leo Gommenginger, 4 Bde.: I: Allg. Einleitung, Abhandlung über die vollkommene Andacht zu Maria in acht Büchern; II: Die Liebe zur Ewigen Weisheit; III: Der heilige Rosenkranz; IV: Kl. Schriften: Geheimnis Mariä, Freunde des Kreuzes, Flammengebet, Regel, Wallfahrt, Briefe, Testament; mit theolog. Kommentar des Hg., Fribourg 1926-30. — Die vollkommene Verehrung Mariens (dt.: Marie v. Gebsattel), Augsburg 1950 – Das goldene Buch, 1966 (Übers. von H. Firtel). — Oeuvres complètes de saint L.-M. Grignion de M., Paris 1966 (éditions du Seuil), 2023. — Das Geheimnis Mariens vom hl. L. Grignion v. M. Übertragung, Einführung, Erläuterungen u. Anwendungen auf das geistl. Leben von A. M. Back, Jestetten 1971. – Le Livre des Sermons du Père de Montfort, 1983.
Literatur:
Baumann 54-59. — Ladame 166-182. — DictSp IX 1073-81. — BSS VIII 357-366. — DIP V 755-64 (Lit., Bild). — BBKL 2 (1990), 352 f.
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