MARIENLEXIKON

Berengaudus Ferrariensis OSB

Berengaudus Ferrariensis OSB – von Achim Dittrich (neuer Artikel, Oktober 2025)

Tatsächlicher Autor der “Expositio super septem visiones libri apocalypsis” (Expositio Berengaudi: PL1 17, 763-970 / PL2 17, 843-1058), in welcher Maria erstmals als -> „Mutter der Kirche“ angesprochen wird; sie findet sich als Pseudo-Ambrosius-Text in Auszügen in der Glossa ordinaria. Neben der trad. Zuweisung der Expositio Berengaudi (ExBer) ins mittlere bis späte 9. Jh. treten einige Autoren für einen Entstehungszeitraum um 1100 ein.
Die ExBer wurde bis ins 16. Jh. dem Kirchenvater Ambrosius zugeschrieben (noch durch Erasmus v. Rotterdam), was sehr zu ihrer Verbreitung beigetragen hat (auch zur Aufnahme in die Glossa ordinaria im 12. Jh.). Die Pariser Mauriner haben im 17. Jh. bewiesen, dass der Text nicht von Ambrosius stammen kann; der Autor gibt sich durch ein Akrostichon zu erkennen als Berengaudus bzw. Bernegaudus. Die Vertrautheit mit benediktin. Klosterleben lässt auf einen Ordensangehörigen schließen. Zuweisungen an Berengar v. Tours oder Berengoz v. St. Maximin haben keine Bestätigung gefunden. Bis etwa 1970 wurde Berengaudus zumeist mit jenem jungen Mönch identifiziert, den Abt Lupus von Ferrières († nach 865) lobend in einem seiner Briefe erwähnt; es wurde auf den Stil der Auslegung verwiesen, der zur Schule von Auxerre (9. Jh.) passt, wo jener Berengaudus nach Lupus seine Ausbildung genossen hat. In der 2. Hälfte des 20. Jh.s siedelten einige Mediävisten u. Theologen den Text und seinen Autor im 11./12. Jh. an, was tatsächlich die Entstehungszeit der ältesten erhaltenen Manuskripte der ExBer darstellt.
Das älteste ExBer-Ms findet sich in Angers (ms 76 [68] 12. Jh., aus St. Sergius, fol. 1-169); der Katalog spricht von Berengaudus Ferrariensis als Autor, einem „vir eruditissimus“. Es sind derzeit 60 Mss. bekannt, in Troyes, Paris, Cambridge u. v. a. (vgl. Carolingian manuscripts-Link, B. Van Name Edwards). Derk Visser (1996) zeigt, dass der Text im Rahmen der Reform des Lanfranc v. Bec im 11. Jh. erstmals von einem älteren Exemplar kopiert wurde und im 12. Jh. größere Verbreitung im Norden Frankreichs u. in England fand. Aufgrund der Fehlzuweisung an Ambrosius in der Glossa ordinaria und des patrist. Stils der Expositio wurde diese im weiteren Mittelalter vielfach kopiert, aber inhaltlich wenig rezipiert, mit Ausnahme der Kunst (Apk-Darstellungen, z. B. der Genter Altar).
Berengaudus wurde im LThK2 (1958) und im Marienlexikon (1988) mit einem eigenen Artikel bedacht. Marianisch erscheint ExBer allerdings sehr zurückhaltend und fokussiert die Auslegung auf Christus u. die Kirche, wobei die hohe Wertschätzung der hl. Schrift mit beiden Testamenten auffällt. Mariologisch ist allein die aus dem augustin. Kirchenverständnis heraus entwickelte Vorstellung bedeutsam, dass Maria mit Jesus, dem Haupt, auch die Kirche als Leib geboren habe: „…ipsa mater sit Ecclesiae; quia eum peperit, qui caput est EccIesiae: et filia sit Ecclesiae, quia maximum membrum est Ecclesiae“ (1PL 876 D / 2PL 960 B). Da Augustinus Maria eindeutig der Kirche als Membrum supereminens einordnet, gleicht B. die Qualifizierung Mariens als Mutter aus, indem er sie gleichzeitig als Tochter der Kirche bezeichnet. Und er tut dies bei Offb 12,4 im Hinblick auf die Geburt des Knaben, der mit Christus identifiziert wird. Ansonsten kann B. Maria noch mit dem brennenden Dornbusch (2PL 906 A), mit dem Tempel Gottes (958 A) und dem Osttor des himml. Jerusalems (1035 A) in Verbindung bringen. B. nennt sie stets „beata virgo“, einmal gesteigert als „beatam et gloriosam Mariam semper virginem“ (905 C). Bei Offb 12,1 deutet B. die himml. Frau als Kirche (958 D), die er auch selbst als Mutter anspricht: „una matre ecclesia“ (848 B). Maria erscheint schon bei der doppelten Deutung des Templum Dei als heilsgeschichtl. Gestalt, die Kirche als heilsaktuelle; so bzgl. Offb 12,4: „eius membra quem beata Maria virgo peperit, quotidie Ecclesia parit. Unus ergo masculus est, quem virgo Maria peperit, et Ecclesia quotidie parit; quia Christus cum omnibus membris suis unus Christus est“ (960 D).
Bereits -> Beda Venerabilis hat – wohl als erster überhaupt – das Motiv einer -> Mater Ecclesiae verwendet, aber pneumatologisch, in seinem Kommentar zum Hohelied (In Cantica Canticorum allegorica expositio: PL 91,1183 A u. BC). Berengaudus hat – ohne zu zitieren – dieses Motiv mariologisch gedeutet, aber in einem streng christologisch-ekklesiolog. Rahmen: Ecclesiae mater et filia. Von B. sind keine weiteren authentischen Texte bekannt, seine Beheimatung im westfränk. Bereich (Ile de France) in der zweiten Hälfte des 9. Jh.s ist wahrscheinlich. Seine Expositio bleibt viel beachtet, heute vor allem bei Mediävisten, da die Johannes-Apokalypse im Mittelalter sehr häufig ausgelegt wurde und B. einen markant-eigenständigen Stil und Gedankengang aufweist.

WW: Berengaudus, Expositio super Septem Visiones Libri Apocalypsis. Ed. Jacques-Paul Migne, Patrologia latina cursus completus, vol. 17, 763–970, Paris 1845.
2PL 17, 843-1058, Paris 1879: https://archive.org/details/patrologiaecurs131migngoog/page/n426/mode/2up
The Manuscript Transmission of Carolingian Biblical Commentaries (Burton Van Name Edwards): https://emf.pages.tcnj.edu/early-medieval-forum/carolingian/ (Nr. 12).

Literatur: DHGE VIII, 358 f. (E. de Moreau). – DictBib I/2 (1926) 1610 f. (E. Levesque). – Enciclopedia catholica II, 1377 (A. Romeo). – F. Stegmüller, RBMA n. 1710 f. — P. Prigent, Apocalypse 12. Histoire de l’exégèse, 1959, 38 f. – LThK2 II, 216 f. – O. Stegmüller, Art. « Berengaudus », in: LexMk (1967) 686. – K. Reinhardt, Art. « B. », in: MarLex I (1988) 435. – Derk Visser, The Apocalypse commentary of Berengaudus of Ferrières, Leiden 1996 (online: books.google.de). – A. Dittrich, Der rätselhafte Berengaudus, in: Ders., Mater Ecclesiae, Würzburg 2009, S. 90-129. – BBKL XXXI (2010) 90-92 (A. Dittrich). – Eric Knibbs, Berengaudus on the Apocalypse, in: Ders. u. a. (Hg.), The End of the World in Medieval Thought and Spirituality, 2019, S. 135-162.