Apfel (Symbolik)
Apfel – Art. von Genoveva Nitz, ML I, 186-188 (überarbeitet 2024)
Eine bemerkenswerte Ambivalenz kennzeichnet den Apfel bei Darstellungen der Muttergottes. In der Hand Mariens oder des Jesuskindes kann er Zeichen der Gottesminne sein. Bei der Eva-Maria-Antithese dagegen ist er Sinnbild der Verführung. Ambivalent ist allgemein die sinnbildl. Deutung des Apfels in der klass. Antike als auch im Kontext der Bibel.
Die Antike schätzte den A. wegen seiner Schönheit u. Süße. Hier wie im AT ist zwischen dem eigentlichen A. und Früchten wie Quitte u. -> Granatapfel nicht immer eindeutig zu unterscheiden; unter »malum« verstanden die Römer alle apfelartigen Früchte (vgl. RAC I 493).
Die Äpfel im Garten der Hesperiden sind eine Quelle der Schönheit u. ewiger Jugend; ihre Gewinnung durch Herakles ist eine mit Prüfungen verbundene Aufgabe des Helden. Im neg. Sinn dagegen weckt die rachsüchtige Göttin Eris mit einem A. ein fatales Begehren, das zum Trojanischen Krieg führt.
Im Hohenlied wird der Bräutigam mit einem „Apfelbaum unter Waldbäumen“ positiv verglichen (Hld 2, 3); Äpfel sollen die Braut laben (2, 5). Gepriesen wird die goldene Farbe und den köstl. Duft des Apfels (Spr 25, 11). Im Abendland aber wurde seit dem frühen MA der Apfel im Allgemeinen zum Symbol des Sündenfalls – obwohl der bibl. Bericht (Gen 2-3) den Baum der Erkenntnis nicht mit Namen nennt – und attributiv mit der Verführung -> Evas durch die -> Schlange assoziiert. Möglicherweise begünstigte die Wortidentität von „malum“ = Apfel und „malum“ = Übel die neg. Auslegung, der A. sei die Frucht der Ursünde.
Mit dem Sündenfall kam der Tod in die Welt. Somit wird der Apfel in diesem Zusammenhang zum Zeichen des Todes. Der „Fürst der Welt“ am südl. Westportal des Münsters zu Straßburg um 1280 lockt mit einem A., den er zur Schau hochhält; an seinem Rücken öffnet sich ein erschreckendes Bild von Verwesung u. Tod mit kriechenden Schlangen u. ekelerregendem Ungeziefer. Später übernimmt „Frau Venus“ bzw. „Frau Welt“ das Werk des Verleitens: Mit grotesken Bewegungen und zum Teil als Narren verkleidet umringen Männer die Verführerin, die als Belohnung den A. der Versuchung u. den Spiegel der Eitelkeit bietet – von Dürer in seiner Zeichnung des -> Affentanzes (1473) parodiert (vgl. D. Huschenbett, Die Frau mit dem Apfel u. Frau Venus in Moriskentanz u. Fastnachtsspiel. In: Volkstum u. Geschichte, FS J. Dünninger, 1970).
Ein Diptychon von Hugo van der Goes vereinigt die Themen vom Sündenfall und von der Erlösung der Welt durch das Opfer Christi: Im linken Flügel mit dem Sündenfall hat Eva schon von einem Apfel gebissen und nimmt vom Baum einen Zweiten für Adam, der seine Hand danach ausstreckt; die rechte Tafel zeigt eine mehrfigurige Beweinung des toten Heilands (nach 1479, Kunsthist. Mus. Wien). Veit Stoß spricht die Eva-Maria-Antithese an in seiner als „Engelsgruß“ bekannten -> Verkündigung mit der Figur der sich windenden Schlange mit dem Apfel im Rachen unten an der tiefsten Stelle des Rahmenwerks verbannt (1517/18, Lorenzkirche, Nürnberg). In einer Miniatur von B. Furtmeyer pflückt Eva von der Seite des Baums, wo ein Totenkopf erscheint, Früchte für Menschen, hinter denen der Tod in Form eines dunklen Skeletts lauert; Maria nimmt von der anderen Baumseite, wo ein Kruzifix hängt, Hostien, die sie einer von einem Engel geleiteten Menschengruppe darreicht (Salzburger Missale, 1478-1489, München, Bay. Staatsbibl. Clm 13022, 60 f.). Zum Zeichen des vollbrachten Erlösungswerks stellt Bartolomeo Montagna einen A. in den Vordergrund seiner Darstellung der Pietà unmittelbar vor dem Grab Jesu (1500, Santuario della Madonna del Monte, Vicenza). Den Bezug zur Passion geht in zwei böhm. Darstellungen aus dem Zusammenhang hervor: Das Pendant zum Bild des Schmerzenmannes bildet die stehende Maria mit dem Jesuskind, das einen A. hält (Tafeln aus Altären von Raudnitz, um 1410, und St. Magdalena bei Wittingau, nach 1440, beide in Prag, Nationalgal. [Abb. A. Matějček / J. Pešina, Got. Malerei in Böhmen, 1955, 175 f., 244 f.]).
Ausgehend vom exeget. Vergleich Christi mit dem Bräutigam im Hld wird der Apfel positiv als Symbol der göttl. Minne interpretiert. Nach dem Kirchenvater -> Ambrosius gleicht Christus, der am Holz des Kreuzes hängt, dem am Baum hängenden A. aus Hld 8, 5; er ist der A., der die Sponsa-Ecclesia erquickt (Hld 2, 5). Ab dem 12. Jh. begegnet der A. attributiv häufig in Darstellungen der Madonna mit Kind. Flankiert von Fragmenten der Evangelistensymbole hält die MG von Siegburg einen A. zur Schau (ca. 1150/60, Köln, Schnütgen-Mus.). Die als Gnadenbild verehrte spätroman. thronende MG in der Klosterkirche von Oelinghausen trägt einen A., das Jesuskind ein Buch; Varianten des Typus, wobei das Kind manchmal den A. trägt (vgl. Küppers II Abb. Nr. 16 ff.).
Bei den -> Schönen Madonnen der Gotik ist der Apfel Gegenstand eines subtilen Wechselspiels. Schon in der Antike galt das Überreichen eines A.s oder die Bewertung mit einem A. als Liebeserklärung; viele Überlieferungen belegen die Bedeutung des A.s im Liebeszauber oder als Liebesgabe (vgl. HWDA I 512ff.). In dem Greifen des Jesuskindes nach dem A., der Darreichung durch Maria und dem Spiel des Austausches sind nicht nur die innige Beziehung zwischen Mutter u. Kind ausgedrückt, sondern, anknüpfend an die Auslegung von Hld, auch das bräutl. Verhältnis: Maria als Sponsa reicht Christus, dem Sponsus, das Symbol der Liebe: Madonna aus Feichten an der Alz, um 1395-1400; sog. Madonna aus Venedig, vermutl. salzburgisch um 1410; sog. Große Madonna aus Hailein, um 1425/30 (1943 verbrannt); Epitaph des Joh. Rauschenberger, Tafelmalerei um 1425 (Ausst.kat. »Schöne Madonnen« 1350-1450, Salzburg 1965, Abb. 21, 10, VIII, 16; vgl. viele Beispiele aus dem dt.sprachigen Raum, Abb. bei Küppers Bd. I und II). — Umstritten bleibt die Frage, ob die Kugel in der Hand der frühen Goldenden Madonna des Essener Münsterschatzes, um 980, als A. oder Reichsapfel (-> Insignien) zu deuten ist (vgl. Guldan 111, Küppers I 50). Bekanntlich sind in einigen Fällen Äpfel in Reichsäpfel umgewandelt worden (F. Holböck, Theol. Hintergrund u. theol. Aussage der »Schönen Madonnen«. In: Ausst. Kat. Salzburg 1965 a. a. O. 50).
Als zweite Eva reicht Maria Christus, dem zweiten Adam, die Frucht, die vom Zeichen des Unheils zum Zeichen der Rettung wird. Die Darreichung durch Maria versinnbildlicht ihre Mitwirkung an der Erlösung (vgl. -> compassio). Dem dialektisch geschulten MA erschien es als folgerichtig, die Ursünde, die die Erlösung bedingte, letztlich als »felix culpa« zu betrachten (vgl. Exsultet). Dass diese Vorstellung weite Verbreitung fand, beweist ein engl. Gedicht des 15. Jh.s, dessen volkstüml. Stil dem populären »ballad« nahekommt (Religious lyrics of the 15th century. Ed. C. Brown, 31962, Nr. 83; vgl. Kommentar bes. XXV):
Adam lay l-bowndyn, bowndyn in a bond, / fowre thousand wynter thowt he not to long; I And al was for an appil, an appil that he tok, / As clerkys fyndyn wretyn in here book.
Ne hadde the appil take ben, the appil taken ben, I ne hadde neuer our lady a ben heuene qwen, I Blyssid be the tyme that appil take was, / Therfore we mown syngyn »deo gracias«. – Hier findet sich, unmittelbar ansprechend, der Gedanke der recapitulatio mundi, der »spiegelbildlichen Wiederkehr allen Geschehens in der Neuschöpfung der Welt durch Christus« (Guldan 190).
Damit umfasst das Apfelmotiv eine reiche Vielfalt an symbol. Bezügen, die in Darstellungen der Madonna und Kind im späteren MA und in der Renaissance mitschwingen. „Engel bringen dem Jesuskind Äpfel“, bei: Stefan Lochner, Madonna im Rosenhag (Wallraf-Richartz-Mus. Köln); Hans Memling, thronende MG mit musizierenden Engeln (Gall. degli Uffizi, Florenz, mehrere Varianten s. M. Corti / G. T. Faggin, L’Opera completa di Memling, 1969, 106f.) In vielen Darstellungen hält das Kind auf dem Schoß der sitzenden Madonna einen A. bzw. nimmt einen, den sie ihm entgegen reicht. Man hat die alte Metapher von Gottvater als Gärtner, der nach dem Sündenfall auf den verdorrten Baum das Holz des Lebens pfropft, mit der als Wunder gedeuteten Aufhebung der Unfruchtbarkeit der hl. -> Anna verbunden. Um 1500 finden sich Anna-Selbdritt-Bilder, die auf diese Allegorie Bezug nehmen (Guldan 115; vgl. A. Fries, Anna-Selbdritt samt Sippe auf einem Tafelbild des Meisters des Braunschweiger Diptychons, In: Das Münster 9, 1956). In zwei Darstellungen von Ambrosius Benson vereinigen sich alle drei Personen – Anna, Maria u. das Jesuskind –, indem sie ihre Hände auf einen A. legen (kl. Tafel ca. 1525-1530, Edinburgh, Nat. Gallery of Scotland; Retabel, ca. 1525-1550, Madrid, Prado). Ebenso berühren alle drei den A. in der Anna-Selbdritt-Gruppe aus dem Altar der Hl. Sippe in der Stadtkirche zu Langenzenn (1508).
Mit dem Aufkommen barocker Bildtypen der triumphierender GM als Bezwingerin der Schlange wird dann die Symbolik der Apfels weitgehend auf das Negative festgelegt. Das Jesuskind trägt nunmehr die Weltkugel in der Hand, während der A. bzw. ein Apfelzweig im Rachen der besiegten Schlange als Zeichen von Sünde und Verderben gilt.
Literatur: O. Gillen, Christus u. die Sponsa in der Heilig-Grab- Kapelle des Magdeburger Doms, In: ChK 33 (1936/37). — RDK I 748-751. – RAC I 493-495. – H. N. Moldenke, Plants of the Bible, 1952. — K. Heisig, Woher stammt die Vorstellung vom Paradiesapfel?, In: ZNW 44 (1952/53). — S. Esche, Adam u. Eva. Sündenfall u. Erlösung, 1957. — P. E. Schramm, Sphaira, Globus u. Reichsapfel, 1958. — M. Lurker, Der Baum in Glauben u. Kunst unter bes. Berücksichtigung der Werke des Hieron. Bosch, 1960. — G. B. Ladner, Vegetation symbolism and the concept of Renaissance, In: De artibus opuscula XL, 1961. — H. G. Leder, Arbor Scientiae. Die Tradition vom paradies. Apfelbaum, In: ZNW 52 (1961). — L. Behling, Die Pflanzenwelt der ma. Kathedralen, 1964. — E. Guldan, Eva u. Maria. Eine Antithese als Bildmotiv, 1966. — L. Behling, Die Pflanze in der ma. Tafelmalerei, 2./1967. — LCI I. — Die Gottesmutter. Marienbild im Rheinland u. Westfalen, hg. von L. Küppers, 2 Bde., 1974. — G. Hohler, Die Bäume des Lebens. Baumsymbole in den Kulturen der Menschheit, 1985. – D. Forstner, Die Welt der christlichen Symbole, 5./1986. – J. Brosse, Mythologie der Bäume, 1999. – K. Dobat, Pflanzen der Bibel, 2012.