Ain Karim / Ein Kerem (Israel)
‘Ayn Kārim (Ain Karim), Artikel von Clemens Kopp, ML I (1988), 64 f. (überarbeitet von Stefan Heid)
ʿAyn Kārim (arab.), Ein Kerem (isr.), bedeutet: „Quelle des Weinbergs“ und liegt 7,5 km westlich von Jerusalem; es entspricht dem „Bet HaKerem“ des AT. Heute wird hier in einer Kirche die Stätte der Heimsuchung Mariens verehrt, in einer andern die Geburt Johannes‘ des Täufers. Lk 1,39 sagt nur allgemein: »In jenen Tagen machte sich Maria auf und ging eilends in das Gebirge in eine Stadt Judas«. Die Wendung ἡ ὀρεινὴ (χώρα) führt wohl in die Nähe von Jerusalem (vgl. Plinius d. Ä., Nat. Hist. V14,70). Vielleicht nannte die Quelle des Lukas den Namen der betreffenden Stadt, und er klang ihm, dem Heidenchristen, so fremd oder unbedeutend, dass er ihn fallen ließ.
Im -> Jakobus-Ev. (22,3) wird erzählt, dass Herodes bei der Verfolgung der jüd. Knaben auch dem Kind der Elisabeth nach dem Leben trachtete. »Sie nahm ihn und stieg ins Gebirge«. Ein Fels öffnete sich wunderbar und verbarg Mutter und Kind. Der hier ebenso gebrauchte Ausdruck ὀρεινὴ konnte dazu führen, die bibl. u. apokryph. Erzählung an einem Ort zu vereinen.
In den ersten Jh.en schweigt die Tradition. Eine Lokalisierung begegnet zum ersten Mal beim Archidiakon Theodosius (530): »Von Jerusalem bis dort, wo die hl. Elisabeth, die Mutter des Herrn Johannes des Täufers, wohnte, sind es fünf Meilen«. Die Meilenzahl passt genau auf ‚Ain K., jedoch machen erst spätere Zeugnisse deutlich, dass dieser Ort gemeint ist. Unsicher bleibt, ob hier Theodosius die bibl. Tatsachen oder die Erzählung des Jakobus-Ev. lokalisiert.
Der georgische Festkalender (um 638), der die gottesdienstl. Feiern vor der arab. Invasion enthält, erwähnt erstmals eine Kirche in ʿAyn Kārim: »Am 28. August. Im Weiler Enquarim, in der Kirche der gerechten Elisabeth, deren Gedächtnis«. Elisabeth rückt hier noch stärker in den Vordergrund; Johannes fehlt, ebenso Maria und Zacharias.
Epiphanius Hagiopolita (um 750-800) stützt sich in seiner Enarratio Syriae auf ältere Reisehandbücher. Er spricht über das »Besitztum der Eltern des Vorläufers« und von »zwei Grotten« mit Gebeinen der Unschuldigen Kinder, die mit zwei Senkgräbern unter dem Eingang zur Johanneskirche identisch sein dürften. So zeigt sich auch in dieser Kirche der Einfluss des Jak-Ev. s in ʿAyn Kārim.
Erst bei Eutychios, Patriarch v. Alexandrien (933-940), findet sich Lk 1,39 sicher lokalisiert: »Die Kirche des Zacharias aus einem Flecken Aelias (= Jerusalem) legt Zeugnis ab von dem Besuch Marias bei ihrer Base Elisabeth«. Frühere Erwähnungen gelten vielleicht bloß dem Jak-Ev., aber spätestens jetzt hat ʿAyn Kārim den bibl. Inhalt erhalten. Der Elisabethkirche war eine zweite zu Ehren des Zacharias nachgefolgt.
Der russ. Abt Daniel (1106) kennt ebenfalls dieses »Haus des Zacharias« als Ort der Heimsuchung Marias und damit der Geburtsstätte des Täufers. Eine Kirche erhebe sich nun über diesem Platz (Johanneskirche). Er besucht dann das zweite Heiligtum des Ortes (die Elisabethkirche), das aus zwei Kirchenräumen bestehe, einem über dem Felsen des Jak-Ev., der sich »wie Wachs« öffnete, um Mutter und Kind herauszulassen, und einem direkt an der Grotte. Seit der Zeit Daniels hört man von zwei Kirchen, die einen ständigen Strom von Pilgern anzogen.
Die Berichte lat. Pilger aus der Kreuzfahrerzeit sind dürftig; sie bezeugen die Heimsuchung und die Geburt des Johannes in ʿAyn Kārim. Der Grieche Phokas (1177) findet auf seinem Pilgergang von Jerusalem zuerst das »Haus des Zacharias«, in dem er »die Gottesgebärerin Elisabeth begrüßte«. Im Unterschied zu Daniel scheint er die Stätte der Heimsuchung schon vor der Geburtskirche des Johannes anzutreffen.
In der Zeit nach den Kreuzfahrern legen die lat. Pilger Ricoldus (1294) und Antonius v. Cremona (1330) die gleiche Trennung nahe. Griech. Quellen belegen ohne jeden Zweifel bis ins 17. Jh. die Heimsuchung Marias in einem Haus auf dem Weg von Jerusalem nach ʿAyn Kārim. Dieses Haus könnte durchaus mit dem von Epiphanius erwähnten »Besitztum der Eltern des Vorläufers« identisch sein. In der Zeit nach den Kreuzfahrern wird auch die Quelle des Ortes als Stätte des Magnificat (Antonius v. Cremona) und der Heimsuchung (Jakob v. Verona) angesehen.
Gleichwohl wird nach den Kreuzfahrern die Elisabethkirche langsam die Stätte der Heimsuchung. Die Zuweisung der bibl. Inhalte (Magnificat u. Benedictus) an diese Kirche geht auf armen. Mönche zurück, die hier 1336 Jakob v. Verona erstmals bezeugt. 1187 besetzten die Mohammedaner die Johanneskirche, bis die Franziskaner sie 1621 ankauften. In dieser Zeit zogen die armen. Mönche die christl. Erinnerungen an ihre Kirche. Dies bezeugt ein Anonymus (14. Jh.): Außer der Geburtskirche des Johannes findet sich noch »ein anderes Haus des Zacharias, in welchem, in einer Kirche, der Ort ist, wo Zacharias die Schreibtafel nahm und schrieb: Johannes ist sein Name. Dort verfasste er auch das Benedictus. Unten in demselben Haus ist eine kleine Kirche, in welcher Maria das Magnificat verfasste«. Das entspricht der heutigen Auffassung, die dem Zacharias zwei Häuser ʿAyn Kārim zuschreibt. Ogier VIII. (1395) verlegt zwar das Magnificat an die Quelle, während seiner Meinung nach in der Doppelkirche die Beschneidung und mithin auch das Benedictus war.
Jedoch in der Kirche der Armenier komponierte nach Ludwig v. Rupes Cavardi (1461) Maria im unteren Gebäudeteil das Magnificat, gab Zacharias eine Treppe höher die Prophetie des Benedictus und war Johannes vor Herodes versteckt worden; Ort der Heimsuchung ist die Quelle. Alexander (1463) wiederum lokalisiert die Heimsuchung in der Unterkirche.
Zwischen 1461 und 1480 gaben die Armenier die Kirche wieder auf. Als 1679 die Franziskaner die Ruinen erwarben, hatten sich die bibl. Erinnerungen hier schon ziemlich fest verankert. Die Mehrzahl der Pilger lokalisierte das Magnificat in der Unterkirche, in der Oberkirche das Benedictus (vgl. Quaresmius 1626). Doch es meldeten sich Bedenken an dieser Fixierung. Denn nach Lk 1,59 war die Beschneidung »am achten Tag«, somit auch das Benedictus. Dass Elisabeth so schnell nach der Geburt zurück in ihrem Landhaus sein sollte, erschien nicht wahrscheinlich. Daher sind heute Beschneidung u. Benedictus mit der Geburtskirche des Johannes verbunden. Bis heute geblieben ist der Elisabethkirche die seltsame Union der apokr. Erzählung des sich öffnenden Felsblocks mit der bibl. Heimsuchung Marias.
QQ: D. Baldi, Enchiridion locorum sanctorum, 1935, 52-99. — zu Theodosius: H. Donner, Pilgerfahrt ins Heilige Land, 1979, 205 f.
Literatur: F.-M. Abel, Sanctuaires marials en Palestine, In: Manoir IV 858. — B. Meistermann, La Patrie de Saint Jean-Baptiste, Paris 1904. — L. Heidet, Art. »Carem«, In: DB 2,1 (1912) 260-268. — S. Salier, Discoveries at St. John’s ‚Ein Karim, 1941/42, 1946. — B. Bagatti, Il santuario della Visitazione ad Ain K. (Montana Judaeae). Esplorazione archeologica e repristino, 1948. — C. Kopp, Ain Karim — die Heimat Johannes des Täufers?, In: ThGl 40 (1950) 422-443. — Ders., Die hl. Stätten der Evangelien, 1959, 132-137. — Ders., Art. „Ain Karim“, Lexikon der Marienkunde, Regensburg 1967, Sp. 92-95. A. Neger (Hg.), Archäolog. Lexikon zur Bibel, 1972, 26. — G. Kroll, Auf den Spuren Jesu, 1975, 207 u. 230. — B. Bagatti u. D. Baldi, Saint Jean-Baptiste dans les souvenirs de sa Patrie, 1980.
Überarbeitung von Stefan Heid, 1988/2025
